Annchen Gode – Biographie

Annchen Gesine Gode wird am 3. Dezember 1882 als viertes Kind von Heinrich Hoffrogge und Meta Catharine Hoffrogge auf dem elterlichen Hof in Lintel (heute: Hella und Kurt Bisanz) geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Anna Johanne Elise Hoffrogge und Diedrich Hoffrogge und die ältere Schwester von Gesine Garms, Mathilde Kirchhoff, Georg Hoffrogge, Bertha Schmidt, Gerhard Heinrich Hoffrogge und Luise Schmidt. Zwei weitere Geschwisterkinder sind 1880 beziehungsweise 1890 noch am Tag ihrer Geburt verstorben und deshalb namenlos geblieben.

Eine Woche vor Annchens Geburt lösen heftige Regenfälle an Rhein, Main und Ruhr ein Jahrhundert-Hochwasser aus. Betroffen sind neben den Großstädten Köln, Düsseldorf, Duisburg, Koblenz, Mainz und Frankfurt auch zahlreiche kleinere Orte. Im Rheingaukreis mit der Kreisstadt Rüdesheim etwa stehen amtlichen Angaben zufolge 992 Wohnhäuser aus 26 Ortschaften unter Wasser. In Neuwied im Regierungsbezirk Koblenz sind sogar mehr als 90 Prozent der 9.600 Einwohner direkt von Überflutungs-Schäden betroffen. An mehreren Uferstellen kommt es zu Deichbrüchen – etwa am 27. November 1882 in Worringen bei Köln, wo danach auf einer Fläche von mehr als 5.000 Hektar nur noch Baumwipfel und Häuserdächer aus den Fluten ragen. Überall kämpfen Menschen ums nackte Überleben. In Offenbach etwa sterben einem zeitgenössischen Bericht der „Gartenlaube“ zufolge beim Einsturz eines baufälligen Hauses drei Kinder sowie eine Magd, die sie in letzter Minute zu retten versuchte.

Die materiellen Folgeschäden der Katastrophe sind hoch. Da die Flut anders als bei früheren Hochwassern nicht im Frühjahr, sondern im Spätherbst über die Region hereinbricht, vernichtet sie einen Großteil der von den Bauern bereits eingefahrenen Ernte. Gleiches gilt für die Wintersaat, so dass viele Äcker neu bestellt werden müssen. Viele Höfe sind darüber hinaus zumindest vorübergehend unbewohnbar. Tausende Familien wissen angesichts dieser Lage nicht, wie sie über den Winter kommen sollen. In einer ersten Reaktion bewilligt der preußische Staat noch im Dezember 1882 Hilfsgelder in Höhe von 500.000 Mark, überall aus dem Deutschen Reich treffen private Sach- und Geldspenden ein.

Zwei Tage vor Heiligabend bahnt sich bereits die nächste Katastrophe an. Ein ungewöhnlich warmer Föhnwind lässt in den Alpen viel Schnee schmelzen, so dass entlang des Rheins abermals die Pegel steigen. Dieses Mal trifft es besonders den Süden Deutschlands. Nach einem Deichbruch bei Oppau stehen an Silvester 1882 etliche Ortschaften zwischen Ludwigshafen und Worms unter Wasser. Die Zahl der Toten ist deutlich höher als vier Wochen zuvor: Allein am 2. Januar 1883 sterben nördlich von Ludwigshafen 32 Menschen, als ein Boot mit Evakuierten aus Oppau kentert.

Der Hochwasser-Horror am Rhein dürfte auch in Lintel zum Gesprächsthema taugen, und manch einer der älteren Bewohner erinnert sich vielleicht mit Schrecken daran, wie 41 Jahre zuvor die über ihre Ufer tretenden Flüsse Weser und Hunte weite Teile des Großherzogtums Oldenburg in akute Alarmbereitschaft versetzt hatten. Davon kann allerdings zum Jahreswechsel 1882/83 keine Rede sein, so dass Annchens am 14. Januar 1883 gefeierte Taufe vermutlich relativ entspannt über die Bühne geht. Viel mehr als dieses Tauf-Datum ist heute über ihre Kinder- und Jugendjahre in Lintel nicht mehr bekannt – außer dem Fakt, dass neben den zwei namenlos verstorbenen Geschwisterkindern auch die ältere Schwester Anna Johanne Elise und der 1892 geborene Bruder Gerhard Heinrich nicht über das Säuglingsalter hinauskommen. So wächst Annchen statt mit neun Geschwistern lediglich mit zwei Brüdern und drei Schwestern auf.

Sehr wahrscheinlich ab Frühjahr 1889 besucht Annchen die gemeinsam mit dem Nachbardorf Hurrel betriebene Volksschule (heute: Gerold und Anke Schröder). Dort gehören unter anderem Henni Becker, Mathilde Lüning, Frieda Rüdebusch, Gesine Runge, Mathilde Schwarting und Sophie Schwarting zu ihren in etwa gleichaltrigen Mitschülerinnen. Nicht zu Annchens Schulkameraden zählt dagegen ihr künftiger, drei Jahre älterer Ehemann Hinrich Gode – obwohl der von dessen Eltern betriebene Hof (heute: Hanna Gode) weniger als zwei Kilometer vom Hoffrogge-Hof entfernt liegt. Er gehört jedoch zu Altmoorhausen und damit zum Einzugsbereich der Altmoorhauser Volksschule. Wann und bei welcher Gelegenheit sich beide kennenlernen, lässt sich nur vermuten – ebenso, ob Annchen nach Schulabschluss und Konfirmation zunächst ihre Eltern in der Landwirtschaft unterstützt oder andernorts in Stellung geht.

Annchen und Johann Hinrich heiraten am 11. August 1903 in Hude. Danach zieht Annchen auf den Hof ihres Ehemannes, den dieser als einziger Sohn der Familie zusammen mit seiner inzwischen verwitweten Mutter fortführt. Nur acht Monate später läuten im engsten Verwandtschaftskreis erneut die Hochzeitsglocken: Annchens Bruder Diedrich heiratet ihre Schwägerin Anna Gode, Johann Hinrichs vier Jahre jüngere Schwester. Beide ziehen später auf einen zuvor von Annchens unverheirateter Großtante Ahlke Margarete Barkemeyer geführten Hof an der Linteler Straße (heute: Gerrit und Linda Schlötelburg).

Aus der Ehe von Annchen und Johann Hinrich in Altmoorhausen gehen derweil sechs Kinder hervor: Klara (Dezember 1903), Heinrich (März 1905), Johann (September 1906), Karl (Oktober 1908), Minna (Juli 1910) und Gustav (April 1912). Letzterer stirbt laut Kirchenbuch-Eintrag der Gemeinde Hude kurz vor seinem zweiten Geburtstag an einer Gehirnentzündung. Wenige Monate später bricht der Erste Weltkrieg aus, an dem Johann Hinrich vermutlich von Beginn an teilnimmt. Er fällt am 26. August 1915 an der Ostfront in Litauen und erleidet damit das gleiche Schicksal wie 14 Monate später Annchens Bruder Georg Hoffrogge. Für Annchen zweifellos die schwierigste Phase ihres Lebens – muss sie doch nicht nur ihre Trauer bewältigen, sondern auch den rund zwölf Hektar großen Hof weiterführen und sich um fünf heranwachsende Kinder kümmern. Dass alle fünf früh in der Verantwortung stehen, kräftig mitanzupacken, versteht sich dabei von selbst.

Auch nach Kriegsende im November 1918 und dem Übergang vom Kaiserreich zur Republik bleiben die Zeiten hart. Dafür sorgt unter anderem die völlig aus dem Ruder laufende Geldentwertung, die sich erst Ende 1923 mit Einführung der Rentenmark stoppen lässt. In der zweiten Hälfte der 20er Jahre verlassen die Kinder nach und nach den Hof – bis auf Karl, der sich gemäß Jüngstenrecht auf die spätere Übernahme vorbereitet. Durch seine im November 1934 gefeierte Hochzeit mit Marie Janzen aus Hurrel bekommt Annchen eine Schwiegertochter ins Haus sowie elf Monate später mit Karls und Maries Sohn Helmut ein Enkelkind.

Wirtschaftlich scheint es seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten unter der Führung von Adolf Hitler wieder aufwärts zu gehen. Letztlich ist der Aufschwung jedoch vor allem ein Produkt der beispiellosen Aufrüstung der ein halbes Jahr vor Helmuts Geburt ins Leben gerufenen Wehrmacht. Mit ihrer Hilfe will Hitler den bereits Mitte der 20er Jahre in seiner Programmschrift „Mein Kampf“ geforderten „Lebensraum im Osten“ erobern und steuert so ungebremst auf einen neuen Weltkrieg zu – der dann nach seinem Anfang September 1939 befohlenen Angriff auf Polen prompt losbricht.

Anders als Ehemann Johann Hinrich verliert keiner von Annchens Söhnen im Kriegsdienst sein Leben. Dafür geht 1942 nach einem feindlichen Fliegerangriff der Gode-Hof in Flammen auf. Annchen kommt mit Schwiegertochter Marie und Enkel Helmut zunächst bei Nachbarn unter und haust danach fast sechs Jahre lang in einer notdürftig eingerichteten Baracke. Hof-Nachfolger Karl kehrt erst zwei Jahre nach der deutschen Kapitulation aus der Kriegsgefangenschaft zurück und kann folglich nicht früher mit dem Wiederaufbau beginnen.

Mag das Leben Annchen bis dahin mehr als einmal übel mitgespielt haben, so verlaufen die 50er und 60er Jahre für sie in vergleichsweise ruhigen Bahnen. Die uneingeschränkte Herrscherin im Haus, als die sie etwa Schwiegertochter Marie 1934 bei ihrem Einzug erlebt hat, ist sie da zwar längst nicht mehr. Gleichwohl hat sie noch immer ihren festen Platz im Gefüge der Familie und kümmert sich außer ums tägliche Mittagessen auch um die Beaufsichtigung der aus der Ehe von Enkel Helmut mit Hanna Hedenkamp hervorgehenden Urenkel Gernot (August 1958), Enno (April 1960) und Werner (März 1963). In die Nachbarschaft ist sie ebenfalls fest integriert und nimmt an vielen der dort gefeierten Feste Anteil.

Nachdem Annchen sowohl ihren 80. Geburtstag und auch ihren 85. Geburtstag bei einigermaßen zufriedenstellender Gesundheit feiern kann, verlassen sie bald darauf ihre Kräfte. Sie stirbt am 5. April 1968 an Altersschwäche und wird vier Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude beerdigt.