Else Ahrens – Biographie

Else Helene Mathilde Ahrens wird am 30. September 1909 als viertes Kind von Gerhard Rüscher und Meta Rüscher in Altmoorhausen geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Martha Wachtendorf und Georg Rüscher und die ältere Schwester von Adolf Rüscher und Herbert Rüscher. Ein weiterer, im Juni 1908 geborener Bruder kommt tot zur Welt und bleibt namenlos.

Vier Tage vor Elses Geburt nimmt in Berlin im Rahmen einer internationalen Flugwoche der Motorflugplatz Johannisthal seinen Betrieb auf. Vor Ort vertreten sind prominente Luftfahrt-Pioniere wie der US-Amerikaner Orville Wright und die Franzosen Louis Blériot, Henri Farman und Hubert Latham. Letzterer absolviert auf dem Tempelhofer Feld Schauflüge für das Berliner Kaufhaus Wertheim und sorgt gleich am zweiten Tag der Veranstaltung für Aufmerksamkeit: Mit einem Eindecker von Antoinette steuert er spontan den neuen Flugplatz an und bewältigt die elf Kilometer lange Strecke in 14 Minuten und 31 Sekunden – der erste Überlandflug auf deutschem Boden. Auch die offiziellen Wettbewerbe der Flugwoche werden von französischen Piloten dominiert. Der einzige deutsche Teilnehmer, Hermann Dorner aus Wittenberg, präsentiert einen selbstkonstruierten Eindecker, bringt mit der Maschine aber nicht viel mehr als vereinzelte Hüpfer zustande.

Mag die Blamage für das Gastgeberland auch groß sein, das Interesse des Publikums an den „tollkühnen Männern in ihren fliegenden Kisten“ (so ein späterer Filmtitel) ist dennoch gigantisch. Zehntausende Besucher pilgern täglich zu den einzelnen Vorführungen. Unter ihnen der eigens aus Dresden angereiste Schriftsteller Karl May, der dem Thema Luftfahrt in seinem kurz vor der Veröffentlichung stehenden Roman „Winnetou IV“ breiten Raum widmet. Um den im Kaiserreich zunehmend als nationale Schmach empfundenen Rückstand im Motorflug aufzuholen, hat der Mannheimer Industrielle Karl Lanz bereits im Frühjahr 1908 einen mit 40.000 Mark dotierten Preis für denjenigen deutschen Piloten ausgelobt, dem es als Erstem gelingt, zwei 1.000 Meter voneinander entfernte Markierungspunkte in einer Achterbewegung zu umfliegen. Zuerkannt wird er vier Wochen nach Ende der Flugschau dem aus Pommern stammenden Maschinenbauer Hans Grade, der die Anforderung am 30. Oktober 1909 auf dem Gelände in Johannisthal meistert.

In der Folge zeigt auch das zuvor stark auf Luftschiffe fixierte Militär Interesse an Motorflugzeugen. Am 1. Mai 1910 öffnet auf dem Flugplatz Döberitz in Brandenburg die erste deutsche Militärfliegerschule ihre Pforten. In anderen europäischen Ländern existieren bereits ähnliche Einrichtungen. Als im August 1914 der Erste Weltkrieg beginnt, setzen vor allem Briten und Franzosen Flugzeuge zu Aufklärungszwecken ein und landen dabei einen wichtigen Erfolg: Mit den gewonnenen Erkenntnissen können ihre Bodentruppen den deutschen Vorstoß Richtung Paris abfangen. An der Westfront entwickelt sich der Konflikt daraufhin vom Bewegungs- zum Grabenkrieg.

Wie Else in Altmoorhausen als knapp Fünfjährige die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand, die darauffolgende Juli-Krise und die ersten Kriegswochen konkret erlebt, lässt sich rückblickend nur vermuten. Der Abschied von Vater Gerhard, fortan Mitglied der kaiserlichen Armee, dürfte tränenreich ausfallen. Davon losgelöst ändert sich an Elses Alltag aber sehr wahrscheinlich zunächst kaum etwas – bis zum Tag ihrer Einschulung. Die nämlich findet nach den Osterferien des Jahres 1916 nicht mehr in der von ihrem Elternhaus nur knapp 200 Meter entfernten Volksschule Altmoorhausen statt, sondern im Nachbarort Hemmelsberg. Hintergrund: Altmoorhausens Schulleiter Johann Folkers hat zum Schuljahreswechsel eine Einberufung zum Kriegsdienst erhalten. Die Hemmelsberger Schule ist zwar 1913 neu erbaut und somit etwas komfortabler als das unter diversen Mängeln leidende Schulgebäude in Altmoorhausen. Dafür sind die von Schulleiter Karl Reinken beaufsichtigten Lerngruppen deutlich größer, und für Else und ihre beiden älteren Geschwister hat sich die Länge des Schulwegs durch den Wechsel mehr als verzehnfacht.

Johann Folkers wird im Mai 1917 in Belgien schwer verwundet, er stirbt kurz darauf im Marine-Lazarett von Ostende. Ein ähnliches Schicksal bleibt Elses Vater gottlob erspart: Der im November 1918 geschlossene Waffenstillstand von Compiègne ermöglicht ihm die Rückkehr nach Altmoorhausen, so dass er seine während des Krieges unterbrochene Tätigkeit in der Ziegelei in Munderloh wieder aufnehmen kann. Das Ende der Kampfhandlungen ist jedoch gleichbedeutend mit einer Niederlage Deutschlands. Das Kaiserreich zerbricht, und die auf dessen Trümmern errichtete Weimarer Republik bekommt es von Beginn an mit großen politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu tun.

Ihre restliche Schulzeit verbringt Else wieder in Altmoorhausen, wo die vakante Stelle des Schulleiters mit Friedrich Hartmann neu besetzt worden ist. In dessen Haushalt geht Elses Schwester Martha Anfang der 1920er Jahre vorübergehend in Stellung – bis sie angesichts der galoppierenden Geldentwertung der Heimat den Rücken kehrt und im Frühjahr 1923 wie zahlreiche gleichaltrige junge Frauen jener Zeit ihr Heil in der Hollandgängerei sucht. Else unterstützt derweil Mutter Meta bei der täglichen Hausarbeit und wird im Frühjahr 1924 in der St.-Ansgari-Kirche in Kirchhatten konfirmiert. Anschließend geht sie auf dem Hof von Bernhard und Sophie Tönjes in Munderloh in Stellung, wo sie sich unter anderem um deren jüngsten Sohn Bernhard Junior kümmert.

Mit Einführung der Rentenmark haben sich die Lebensbedingungen in Deutschland inzwischen wieder etwas gebessert. Gerade im ländlichen Raum bleiben sie jedoch äußerst bescheiden. Obwohl Else kurz zuvor auf einem Silvesterball in der Gaststätte von Wilhelm Brüers einen schmucken jungen Mann näher kennengelernt hat, muss Martha Rüscher deshalb bei einem ihrer Heimatbesuche nicht viele Worte machen, um ihre Schwester von den finanziellen Vorzügen der Hollandgängerei zu überzeugen. Zusammen mit Martha arbeitet Else danach zwei Jahre lang in der Nähe der niederländischen Stadt Woerden – bleibt aber mit ihrer Silvester-Bekanntschaft Georg Ahrens in Kontakt. Ein Kontakt, der sich schnell intensiviert, als Else im Laufe des Jahres 1928 nach Deutschland zurückkehrt und eine Stellung in einem Haushalt in Osternburg annimmt.

Georgs Eltern bewirtschaften in Munderloh einen 1859 begründeten Hof, für den sein älterer Bruder Hermann als Nachfolger vorgesehen ist. Er selbst hat das Schneiderhandwerk erlernt – ein durchaus ehrbarer Beruf, der aber nur relativ geringe Verdienstchancen bietet. Für Else spielen derartige Überlegungen freilich keine Rolle: Sie und Georg heiraten am 21. Oktober 1932, auf dem Höhepunkt der 1929 ausgebrochenen Weltwirtschaftskrise. Anschließend mieten sie in Munderloh eine Wohnung im Haus des Tischlermeisters Johann Schlake, wo Georg sich eine kleine Werkstatt einrichtet. Bereits nach der Geburt der ersten Tochter Irma im Juli 1933 ist jedoch absehbar, dass dies von den Räumlichkeiten her keine Dauerlösung darstellt. Kurz vor der Geburt der zweiten Tochter Edith im Februar 1937 zieht die Familie deshalb in ein zum Hof von Heinrich Dannemann gehörendes Haus an der Munderloher Straße.

Mag die Ernennung von NSDAP-Führer Adolf Hitler zum Reichskanzler Ende Januar 1933 moralisch und politisch betrachtet auch eine Katastrophe sein: Wirtschaftlich geht es für die Menschen im unmittelbar danach eingeläuteten NS-Staat zunächst durchaus bergauf. Die Schrecken der Wirtschaftskrise sind bald vergessen, zudem stärken Prestige-Erfolge wie die Rückkehr des Saarlands zum Deutschen Reich oder die Olympischen Sommerspiele von Berlin das nationale Selbstwertgefühl. Was von Hitlers trotz massiver Aufrüstung stets beschworenen Friedensliebe zu halten ist, zeigt sich jedoch spätestens zu Beginn von Elses dritter Schwangerschaft: Ohne Vorwarnung marschieren deutsche Truppen Mitte März 1939 in die Tschecho-Slowakische Republik ein und wenig später auch ins nördlich von Ostpreußen gelegene Memelland. Als Ende November 1939 Elses und Georgs Sohn Bruno geboren wird, tobt bereits seit knapp drei Monaten der Zweite Weltkrieg.

Als Soldat der Wehrmacht ist Georg von Beginn an dabei, zunächst auf dem Frankreich-Feldzug und nach dem Überfall auf die Sowjetunion an der Ostfront. Else hält derweil in Munderloh die Stellung und hilft zwischendurch wieder regelmäßig auf dem Hof ihres einstigen Arbeitgebers Bernhard Tönjes aus. Im Laufe des Jahres 1944 – die Wehrmacht ist längst an allen Fronten auf dem Rückzug – wird Georg schwer verwundet und anschließend nach Hause entlassen. Kurz darauf stirbt in Altmoorhausen Elses Vater Gerhard. Mutter Meta zieht daraufhin zu Else, Georg und den Kindern nach Munderloh, wo der Krieg am 29. April 1945 ganz real Einzug hält: Nach dem Kampf um Hatten treffen weiter vorrückende kanadische Panzer-Einheiten am Ortseingang auf eine Gruppe von Widerstand leistenden Wehrmachtsangehörigen und schießen in der Folge zahlreiche Gebäude einschließlich der Gaststätte Brüers in Brand. Auch Elses Haus erhält dabei einen Bombentreffer, während sie selbst mit der Familie im Keller hockt und um ihr Leben bangt.

Eine Woche später ist der längst sinnlos gewordene Krieg, dem neben Millionen anderen Menschen ganz zum Schluss auch noch Elses Schwager Gerhard Wachtendorf und ihr jüngster Bruder Herbert zum Opfer gefallen sind, zu Ende. Im Chaos und in der Not der folgenden Monate gilt es im beschädigten Haus noch ein Stück weiter zusammenzurücken, denn mit der aus Schlesien geflüchteten Familie von Rudolf Harbert gibt es neue Mitbewohner. Georg nimmt seine Tätigkeit als Schneider wieder auf, verdient aber damit auch nach der Währungsreform vom Juni 1948 nur das Nötigste für den Lebensunterhalt. Immerhin, alle haben ein Dach über dem Kopf sowie etwas anzuziehen, und an frischem Obst und Gemüse aus dem eigenen, von Else sorgsam gepflegten Garten mangelt es in dieser schweren Zeit ebenfalls nicht.

Noch vor der von Else und Georg im Oktober 1957 gefeierten Silberhochzeit verlassen die beiden Töchter das Elternhaus, Sohn Bruno folgt wenig später. Irma wohnt zeitweise in Oldenburg und arbeitet dort mehrere Jahre lang als Verkäuferin in einem Kolonialwarenladen, bevor sie 1959 Wilfried Rahden aus Hohenböken heiratet und mit ihm nach Bookholzberg zieht. Edith führt bis zu ihrer Hochzeit mit Rolf Börner aus Kirchhatten sechseinhalb Jahre lang den Haushalt des Oldenburger Unternehmers Adolf Heißenbüttel. Bruno wiederum geht nach einer Schneiderlehre in Huntlosen nach Iburg, sattelt dort der besseren Verdienstmöglichkeiten wegen auf Gastronomie um, arbeitet lange Jahre in der Bahnhofsgaststätte in Oldenburg und pachtet 1985 mit Ehefrau Jantje die Traditions-Gaststätte „Fährkroog“ in Dreibergen. Aus den drei Ehen hat Else mit Jens, Monika, Peter, Sandra, Susanne und Uwe insgesamt sechs Enkelkinder.

Nach dem Auszug der Kinder ziehen Else und Georg vom unteren, von Heinrich Dannemann daraufhin anderweitig vermieteten Teil des Hauses in den oberen Teil um, wo Georg weiterhin seine Werkstatt unterhält. Als die Aufträge Mitte der 1960er Jahre mehr und mehr ausbleiben, gibt er das Gewerbe auf und arbeitet fortan als Änderungsschneider in der Oldenburger Filiale des Hertie-Konzerns. Im Mai 1970 stirbt er wenige Stunden nach dem Besuch des Munderloher Schützenfestes am plötzlichen Herztod. Nach diesem Schicksalsschlag lebt Else zunächst weiter im ihr vertrauten Haus – das sie allerdings Ende der 1970er Jahre nach dessen Verkauf räumen muss. Doch sie hat Glück und findet unmittelbar darauf auf dem nur etwas mehr als einen Kilometer entfernt gelegenen Betriebsgelände der mit ihr befreundeten Witwe Mathilde Hollmann eine neue Bleibe.

Da sie nur ein sehr kleines Ruhegeld bezieht, hilft Else auch als Rentnerin hin und wieder auf Stundenbasis im mittlerweile von Werner und Christine Brüers geführten Dorfgasthof aus. Größere Ausgaben etwa für regelmäßige Urlaubsreisen sind trotzdem nicht drin, doch Else ist an ein genügsames Leben gewöhnt und findet darüber hinaus außer in der Gartenarbeit auch in der Familie Erfüllung. Dem ersten, im September 1987 geborenen Urenkelkind Stefan folgen insgesamt 13 weitere, von denen sie die meisten noch kennenlernt.

Nachdem sie ihren 80. und auch ihren 85. Geburtstag bei guter Gesundheit in Munderloh gefeiert hat, muss Else ihre eigene Wohnung 1997 nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt aufgeben und zieht zu Tochter Edith und Schwiegersohn Rolf. Ihren 90. Geburtstag feiert sie mit der Familie im Willerschen Haus in Kirchhatten. Obwohl für ihr Alter noch immer vergleichsweise rüstig, entschließt sie sich im Sommer 2001 zum Umzug ins Pflegeheim „Landhaus Heuermann“ in Sandhatten, weil dort mehrere Bekannte von ihr leben.

Else stirbt am 29. September 2001, einen Tag vor ihrem 92. Geburtstag. Beerdigt ist sie wenige Tage später auf dem Neuen Friedhof in Kirchhatten.