Johann Folkers – Biographie

Johann Hermann Folkers wird am 18. Februar 1888 als sechstes Kind von Folkert Johann Folkers und Christiane Henriette Folkers auf dem elterlichen Hof in Sandel bei Jever geboren. Er ist der jüngere Bruder von Reinhard Folkers, Helene Hoier, Johanne Folkerts, August Folkers und Adolf Folkers.

Zwölf Tage vor Johanns Geburt hält Reichskanzler Otto von Bismarck im Reichstag in Berlin eine Grundsatzrede zur Außenpolitik. Der darin enthaltene Halbsatz „Wir Deutschen fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt“ findet national wie international große Beachtung und entwickelt sich je nach Sichtweise verstanden als Drohgebärde oder als selbstbewusster Hinweis auf die eigene militärische Stärke schon bald zum geflügelten Wort. Der zweite Teil des Satzes („und die Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen lässt“) gerät dadurch von Anfang an in den Hintergrund – und somit auch Bismarcks eigentliche Absicht, den deutschen Beitrag zur Friedenssicherung in Europa zu betonen.

Anlass der Rede ist zum einen die an jenem 6. Februar 1888 anstehende Abstimmung über die Erhöhung des Wehr-Etats um 280 Millionen Mark, zum anderen die Veröffentlichung des Vertragstextes eines 1879 geschlossenen und zunächst geheim gehaltenen Zweier-Bündnisses mit Österreich-Ungarn drei Tage zuvor. In dem 1882 durch den Beitritt Italiens zum Dreibund aufgewerteten Bündnis sichern sich die Partner gegenseitigen Beistand im Falle eines russischen oder französischen Angriffs zu. Parallel dazu hat Bismarck 1887 einen ebenfalls geheimen Rückversicherungsvertrag mit Russland vereinbart: Darin verpflichtet sich Russland, bei einem Angriff Frankreichs auf Deutschland neutral zu bleiben.

Ziel von Bismarcks nicht immer leicht zu durchschauender Bündnis-Politik jener Jahre ist es, den als Erbfeind angesehenen Nachbarn Frankreich möglichst dauerhaft zu isolieren. Was allein schon deshalb viel Fingerspitzengefühl erfordert, weil mit Russland und Österreich-Ungarn zwei Partner bei der Stange gehalten werden müssen, die sich vor allem auf dem Balkan machtpolitisch immer wieder in die Quere kommen. In einem weiteren prominenten, allerdings erst Jahrzehnte später öffentlich gewordenen Bonmot bemüht Bismarck in diesem Zusammenhang das Bild von „zwei bissigen Hunden, welche aufeinanderstürzen würden, wenn ich das Halsband loslasse“.

Welche Konsequenzen die österreichisch-russische Rivalität und das allmähliche Auseinanderbrechen des Bismarckschen Bündnissystems für Europa und auch für Johann haben werden, kann im Februar 1888 und damit wenige Wochen vor dem Tod des greisen Kaisers Wilhelm I. noch niemand ahnen – mag am 15. Juni jenes denkwürdigen Jahres auch der Boden dafür bereitet werden. An diesem Tag nämlich folgt Wilhelms Enkel Wilhelm II. seinem nach nur 99 Tagen Amtszeit verstorbenen Vater Friedrich III. auf den Thron und lässt von Beginn an wenig Zweifel daran, dass er in der deutschen Außenpolitik neue Wege gehen will. Ohne Bismarck, der am 18. März 1890 entnervt um Entlassung bittet.

Eine Phase des Umbruchs also, in der Johann auf dem elterlichen Hof die ersten Schritte tut. Gemäß des im Jeverland geltenden Jüngstenrechts ist er der rechtmäßige Erbe des rund zwölf Hektar großen Betriebes. Vor allem seine Mutter macht sich jedoch früh für einen Lebensweg außerhalb der Landwirtschaft stark. Der künstlerisch begabten Tochter eines Sillensteder Gastwirts fällt die Doppelbelastung aus Kindererziehung und der körperlich fordernden Arbeit einer Bäuerin zeitlebens etwas schwer – möglicherweise mit ein Grund dafür, warum sie im August 1895 im Alter von nur 48 Jahren stirbt. Dass das eine mit dem anderen zusammenhängt, sieht offenbar auch Johanns Vater so. „Dieser Hof bringt Unglück!“ ist er danach Erzählungen aus der Familie zufolge überzeugt. Er beschließt, das Anwesen zu verkaufen und die Kinder auszuzahlen.

Kurz vor dem Tod der Mutter wird Johann in seinem Heimatdorf eingeschult. Von der fünften bis zur achten Klasse geht er dann im Nachbarort Cleverns zur Schule. Bei seinen Lehrern gilt Johann als guter Schüler und tut sich unter anderem in den musischen Fächern hervor: Er zeichnet gern und lernt früh Klavier, Geige und Orgel spielen. Eine wichtige Voraussetzung für die Aufnahme im Evangelischen Lehrerseminar in Oldenburg, das Johann zwischen 1902 und 1907 besucht. In dieser Zeit, am 29. Dezember 1905, stirbt in Jever auch Vater Folkert Johann.

Gemeinsam mit einem Klassenkameraden wohnt Johann während dieser Zeit als Untermieter in der Humboldtstraße. Der Überlieferung zufolge ist er ein sportbegeisterter Fußballer, der schon früh der ersten Seminar-Mannschaft angehört. Ferner beschäftigt Johann sich mit religionsphilosophischen Fragen und mit deutscher Literatur, wo er seinem großen Vorbild Friedrich Schiller nacheifert. Während der Seminarferien ist er häufig mit Klassenkameraden unterwegs, um die nähere und weitere Umgebung kennenzulernen. Angeregt von Oberlehrer Wilhelm Meyer, den Gründer des heutigen Botanischen Gartens der Universität Oldenburg, legt Johann ein umfangreiches Herbarium mit vielen Pflanzen des nordwestdeutschen Raumes an. Im Herbst 1906 unternimmt er mit Freunden eine große Böhmerwald-Reise, deren Etappen er beschreibt und in Zeichnungen festhält.

Zu Johanns Mitschülern zählt von 1905 an auch der spätere, aus Kirchhatten stammende Verleger Peter Suhrkamp. Beide Seminaristen dürften sich fortan bei verschiedenen Gelegenheiten begegnen – ob sie darüber hinaus einen engeren Kontakt pflegen, lässt sich knapp 120 Jahre später natürlich nicht mehr mit Gewissheit sagen.

Während es Suhrkamp nach der durch Institutsleiter Emil Künoldt und dem als extrem konservativ geltenden Oberschulrat Hermann Goens geprägten Ausbildung zunächst nach Augustfehn verschlägt, lautet Johanns erste Station als Volksschullehrer Großenkneten. Dort tritt er am 1. April 1907 seinen Dienst an. Eine seine Schülerinnen ist Erna Meyer, jüngste Tochter des Hageler Großbauern Heinrich-Gerhard Meyer. Bei einem Antritts-Hausbesuch auf dessen Hof lernt Johann Ernas 1886 geborene Schwester Frieda kennen. Beide finden Gefallen aneinander und verbringen in der Folge viel Zeit zusammen – sei es auf ausgedehnten Spaziergängen durch die Felder und Wälder oder auf Tanzabenden in den Gasthäusern von Johann Hinrich Lueken und Bernhard Kempermann. Am Ende steht der Entschluss, heiraten zu wollen.

Was diesen Plänen zunächst noch im Wege steht, ist der im Kaiserreich obligatorische Wehrdienst, den Johann als Einjährig-Freiwilliger ableisten möchte. Er wird für tauglich befunden und beantragt daher im Mai 1908 einen Urlaub in entsprechender Länge – den die Schulbehörde aber mangels geeigneten Lehrer-Ersatzes erst elf Monate später genehmigt. Nach der Grundausbildung verbringt Johann seine Freiwilligenzeit vom 13. Juni 1909 an bei der Marine in Kiel und wohnt dort in der Pickertstraße im Haus mit der Nummer 34.

Ende Februar 1910 meldet Johann sich zum Wiedereintritt in den Schuldienst zurück und erhält drei Wochen später den Auftrag, den damaligen Hauptlehrer der Volksschule in Brettorf zu vertreten. Das kommt ihm natürlich entgegen – liegt doch Brettorf von Großenkneten und damit von seiner geliebten Frieda lediglich 15 Kilometer entfernt. Doch die Freude darüber währt nur kurz: Die nächste freie Stelle, die Oberschulrat Hermann Goens Johann mit Dienstantritt zum 1. Mai 1910 zuweist, ist die eines Nebenlehrers an der Volksschule in Neuenwege bei Varel, zehn Kilometer südlich des Jadebusens.

Obwohl Johann die neue Stelle schon aufgrund der erneuten Trennung von Frieda wenig behagt, bemüht er sich dennoch, sie so gut als möglich auszufüllen. Das kommt unter anderem im Bericht eines Schulinspektors zum Ausdruck, der sich über den Junglehrer im Februar 1911 wie folgt äußert: „Seine offene, freundliche Art hat ihm die Herzen der Schüler gewonnen. Man merkt es, dass sie ihn gernhaben. Die Klasse macht in jeder Beziehung einen günstigen Eindruck. Die anregende Art des Lehrers bewirkt, dass sich die Kinder lebhaft am Unterricht beteiligen. An ihrer anerkennenswerten Fähigkeit im mündlichen Ausdruck merkt man, dass Folkers auch in der Kleinarbeit treu seine Pflicht tut.“ Und weiter: „Lese- und Rechenfertigkeit der Kinder müssen als gut bezeichnet werden. Folkers‘ Arbeit in der Klasse lässt erkennen, dass er an seiner pädagogischen Weiterbildung eifrig gearbeitet hat. Er ist ein ausgezeichneter Lehrer und als Mensch von sehr sympathischem Wesen.“

Am 20. Februar 1911 stellt Johann das erste Gesuch auf Versetzung in die nähere Umgebung von Oldenburg. Er begründet dies mit einer geplanten gemeinsamen Weiterbildung mit anderen jüngeren Lehrern. In seiner Antwort teilt ihm das Oberschulkollegium jedoch mit, dass derzeit keine Stelle frei sei. Außerdem müsse er seinen Versetzungswunsch schriftlich näher begründen. Trotzdem lässt Johann nicht locker. Am 2. Oktober 1911 – inzwischen offiziell mit Frieda verlobt – schreibt er erneut an die Dienststelle in Oldenburg: Er habe erfahren, dass die Hauptlehrer-Stelle an der Schule in Moorhausen noch unbesetzt sei. Ob es nicht vielleicht möglich sei, ihn mit der Verwaltung dieser Stelle zu beauftragen? Immerhin, die Antwort macht Hoffnung. Das Oberschulkollegium werde die Versetzung im März 1912 „in Erwägung ziehen“. Ein früherer Zeitpunkt komme allerdings nicht in Frage – schließlich habe Johann seine gegenwärtige Stelle erst vor einem Jahr angetreten.

Für Mai 1912 wird Johann dann tatsächlich zum Hauptlehrer im heutigen Altmoorhausen bestellt, und zwar unbefristet. Auch bezüglich der zwischenzeitlich mitgeteilten Heiratspläne hat das Oberschulkollegium keine Bedenken, die in jener Zeit noch obligatorische Genehmigung zu erteilen. Am 19. April 1912 stehen Johann und Frieda in Großenkneten vor dem Traualtar, gefeiert wird im Gasthof Lueken. Die anschließende Hochzeitsreise führt die beiden Jungvermählten entlang des Rheins.

In Altmoorhausen erwarten Johann und Frieda baulich äußerst bescheidene Verhältnisse. Das Schulhaus, das ihr neues Zuhause wird, war 1892 so kostengünstig wie möglich errichtet worden. Fenster und Türen sind undicht, überall im Gebäude zieht es. Das auf dem Gelände verfügbare Wasser ist zudem nur genießbar, nachdem es über ein Filtrier-Fass gelaufen ist – ein Mangel, den auch der Bau eines neuen Brunnens nicht zu beheben vermag. Ferner fehlt es an einem Stallgebäude, die dafür im Schulhaus eigentlich vorgesehenen Räume werden als Wasch- und Kohlenraum genutzt.

Da er anfangs auch noch die Kinder aus dem damaligen Neu-Moorhausen mitunterrichten muss, drängen sich auf engstem Raum rund 80 Schüler vom Erst- bis zum Achtklässler. Davon, dass Johann allen Widrigkeiten zum Trotz auch dieses Mal zur vollen Zufriedenheit seiner Vorgesetzten und der Gemeinde arbeitet, darf man jedoch ausgehen. Eine von Johann beantragte Alterszulage in Höhe von 140 Mark bekommt er ab Mai 1914 anstandslos ausgezahlt, nachdem sein Verhalten zwei Monate zuvor als „tadelsfrei“ erachtet worden ist. Zu diesem Zeitpunkt besteht in Neu-Moorhausen bereits seit einem Jahr eine eigene, vom nahezu gleichaltrigen Kollegen Karl Reinken geleitete Volksschule, was den Unterricht zweifelsohne ein wenig entspannt.

In der unterrichtsfreien Zeit arbeiten Johann und Frieda viel im schuleigenen Garten. Abends steht dann ab und an ein Theaterbesuch in Oldenburg oder Bremen auf dem Programm – beide Städte sind schon damals vom nahegelegenen Hude aus sehr gut per Bahn erreichbar. Ehrenamtlich ist Johann in dieser Zeit unter anderem als Leiter des Gemischten Chors Altmoorhausen und einer Jugendwehr tätig.

Das Jahr 1914, für Johann durch die Geburt seines ersten Kindes Edzard am 22. Februar ein ganz besonderes Jahr, entwickelt sich für Millionen Menschen von einem auf den anderen Tag zu einem Alptraum: Nach der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie bricht Anfang August der Erste Weltkrieg aus. Zu dessen Beginn steht Deutschland aufgrund der von Bismarcks Nachfolgern im Amt des Reichskanzlers postulierten Nibelungentreue zu Österreich-Ungarn ziemlich isoliert da und muss nun den von Bismarck immer gefürchteten Zwei-Fronten-Krieg führen – für den Johann sich prompt freiwillig meldet. Die Schulverwaltung erklärt ihn jedoch für unabkömmlich, so dass er seinen Schülerinnen und Schülern – darunter die Nachbarskinder Alma Grummer, Georg Rüscher und Martha Rüscher – bis auf weiteres noch erhalten bleibt. Da die Militärführung zunächst von einem schnellen und siegreichen Kriegsende ausgeht, erscheint sein Einsatz als Soldat auch von dieser Seite aus noch verzichtbar.

Am 4. August 1915 wird Johann in Altmoorhausen zum zweiten Mal Vater. Die an diesem Tag geborene Tochter erweist sich jedoch als nicht lebensfähig und bleibt deshalb namenlos. Im April 1916 – wenige Wochen zuvor hat bei Verdun eine der verlustreichsten Schlachten des Krieges begonnen – wird Johann doch noch eingezogen und muss sich in Wilhelmshaven melden. Von dort aus rückt er als Vize-Feldwebel und Reserveoffizier-Anwärter mit einer Reserve-Einheit der Marine-Infanterie nach Flandern aus. Als Zugführer und stellvertretender Kompanieführer ist er an den schweren Kämpfen an der Somme und in Flandern beteiligt.

Wie oft Johann in der Folge noch nach Altmoorhausen reist und dort mit Frieda und Edzard Zeit im von der Familie weiter bewohnten Schulhaus verbringen kann, ist nicht überliefert. Im Sommer 1916 wird Frieda ein drittes Mal schwanger, der zweite Sohn Ingo kommt im März 1917 zur Welt. Ihn lernt Johann nicht mehr kennen: Er wird zwei Monate später nahe Nieuwpoort durch eine britische Granate schwer verwundet und stirbt am 22. Mai 1917 im Marine-Lazarett von Ostende. Beerdigt ist Johann zunächst auf einem in der Nähe gelegenen Friedhof, später werden seine sterblichen Überreste auf den deutschen Soldatenfriedhof in Vladslo umgebettet.