Lieselotte Wilhelmine Martha Kramp wird am 6. Oktober 1921 als einziges Kind von Franz Klokow und Martha Klokow in Stargard in der Provinz Pommern geboren. Mit Kurt Klokow hat sie noch einen älteren Halbbruder aus einer früheren Ehe ihres Vaters.
Am Tag von Lieselottes Geburt erlässt der Oberreichsanwalt in Leipzig einen Steckbrief wegen Hochverrats gegen die untergetauchten Anführer des Kapp-Putsches vom März 1920. Für Hinweise, die zur Ergreifung von Wolfgang Kapp, Walther Freiherr von Lüttwitz, Hermann Ehrhardt, Waldemar Pabst und vier weiteren Mitverschwörern führen, ist eine Belohnung von 50.000 Mark ausgesetzt. Der Putsch sollte die erst im November 1918 ausgerufene Weimarer Republik zu Fall bringen und an ihrer Stelle eine Militär-Diktatur errichten. Er brach jedoch angesichts der Uneinigkeit über die weiteren Ziele und eines von den Gewerkschaften ausgerufenen Generalstreiks nach nur wenigen Tagen zusammen. Dem Steckbrief vorausgegangen ist eine am 2. August 1920 erlassene Amnestie für weniger belastete Teilnehmer des Umsturzversuches, sofern die beteiligten Personen nicht aus „Rohheit“ oder „Eigennutz“ gehandelt haben.
Als einziger namhafter Rädelsführer hatte sich im März 1920 Traugott von Jagow den Behörden gestellt. Gegen den ehemaligen Polizeipräsidenten von Berlin spricht das Reichsgericht am 21. Dezember 1921 wegen Beihilfe die vergleichsweise milde Strafe von fünf Jahren Festungshaft aus. Dadurch ermutigt, kehrt Wolfgang Kapp im April 1922 freiwillig aus seinem schwedischen Exil nach Deutschland zurück, um dem Gericht seine Sicht des Putsches darzulegen. Doch dazu kommt es nicht mehr: In der Untersuchungshaft stellt ein Arzt bei ihm einen bösartigen Tumor hinter dem linken Auge fest. Die Operation verläuft zunächst erfolgreich, doch der Krebs hat bereits innere Organe befallen. Kapp stirbt am 12. Juni 1922 im Alter von 63 Jahren.
Die Fahndung nach den anderen Flüchtigen bleibt erfolglos. Waldemar Pabst, 1919 in die Ermordung der KPD-Mitbegründer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg involviert, lebt inzwischen in Innsbruck und steht dort unter dem Schutz des Tiroler Heimwehr-Führers Richard Steidle. Walther Freiherr von Lüttwitz wiederum lebt in Ungarn. Beide werden erst 1925 nach Deutschland zurückkehren, als auch ihnen Amnestie versprochen wird. Einen Sonderfall stellt der weitere Werdegang von Hermann Ehrhardt dar. Der einstige Führer der Marine-Brigade Ehrhardt hat in Bayern und damit auf deutschem Reichsgebiet Unterschlupf gefunden. Von dort aus leitet er die Tätigkeiten der Untergrund-Organisation Consul, die für mehrere Attentate – unter anderem auf den Zentrums-Politiker Matthias Erzberger (August 1921) und den deutschen Außenminister Walther Rathenau (Juni 1922) – verantwortlich zeichnet. Zwar wird Ehrhardt fünf Monate nach den tödlichen Schüssen auf Rathenau in München festgenommen. Im Juli 1923 kann er jedoch aus der Untersuchungshaft in Leipzig fliehen und bleibt bis zur offiziellen Amnestie 1925 zunächst in Bayern und dann in Österreich von jeglicher Strafverfolgung verschont.
Die Morde an Erzberger und Rathenau machen auch in Pommern Schlagzeilen – und rufen dort mit Sicherheit Entsetzen, aber wie im Rest der Republik vereinzelt auch Genugtuung hervor. Davon losgelöst dürfte in Lieselottes Familie 1922 und 1923 vor allem die Hyperinflation ein Thema sein, wovon sie selbst natürlich altersbedingt nichts mitbekommt. Immerhin: Als Mitarbeiter der Reichsbahn hat Vater Franz allen politischen und wirtschaftlichen Krisen zum Trotz einen relativ sicheren Job.
Einem Adressbuch der Stadt Stargard zufolge wohnt Familie Klokow Anfang der 1920er Jahre mutmaßlich in der Delsastraße, im Haus mit der Nummer 3. Mutmaßlich deshalb, weil der Name „Klokow“ dort mit „ck“ geschrieben wird. Da es sich um eine überwiegend von Eisenbahnern bewohnte Siedlung handelt und in einem späteren Adressbuch (von 1937, mit unveränderter Anschrift) das „c“ im Namen entfallen ist, ist die Wahrscheinlichkeit dafür aber ziemlich groß.
Über besondere Ereignisse aus Lieselottes Kinder- und Jugendzeit ist – abgesehen vom frühen Tod ihres Halbbruders Kurt – nur wenig bekannt. Nach Schulabschluss und Konfirmation beginnt sie laut ihrem späteren Lehrbrief Anfang April 1936 eine Ausbildung beim örtlichen Friseurmeister Karl Markgraf. Zu diesem Zeitpunkt haben die von Adolf Hitler geführten Nationalsozialisten bereits die Macht übernommen. Ihr 1933 errichteter NS-Staat findet international zunehmend Anerkennung – unter anderem durch die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele, die am 1. August 1936 in Berlin beginnen. Dass gleichzeitig politische Gegner wie Kommunisten und Demokraten jeglicher Couleur sowie gesellschaftliche Minderheiten wie Juden, Sinti, Roma oder Behinderte systematisch in ihren Rechten eingeschränkt und verfolgt werden und die Maschinerie zur Vorbereitung eines Angriffskrieges bereits auf Hochtouren läuft, nehmen hingegen nur wenige Beobachter wahr.
Kurz vor dem durch den deutschen Überfall auf Polen ausgelösten Zweiten Weltkrieg lernt Lieselotte bei einem Schau-Frisieren ihren Berufskollegen und künftigen Ehemann Erich Kramp aus Insterburg kennen. Noch bevor beide heiraten können, wird Erich zur Wehrmacht eingezogen. Der im November 1942 vollzogenen Kriegstrauung folgen für Lieselotte viele Monate der Unsicherheit, ob Erich vom Front-Einsatz zurückkehrt – und der Verlust der Heimat. Anfang März 1945 erobert die Rote Armee Stargard, dabei wird die Stadt zu 70 Prozent zerstört. Ein Ende, das sich einer später erstellten Heimat-Chronik zufolge schon Monate zuvor ankündigt: „Im Sommer und Herbst 1944 zogen pausenlos unendliche Kolonnen von Flüchtlings-Fahrzeugen durch die Stadt. Damals dachten nur erst wenige daran, dass sie vielleicht auch einmal auf diese Weise ihre Heimatstadt verlassen müssten. Als dann aber im Januar 1945 der Geschützdonner von Pyritz herüber zu hören war, geriet Stargard ebenfalls in den allgemeinen Strudel.“
Wie Lieselotte und Mutter Martha – Vater Franz ist bereits verstorben – in diesen Strudel hineingezogen werden, lässt sich nur vermuten. Allerdings bleibt ihnen kaum eine Wahl, als sich mittreiben zu lassen. Die Heimat-Chronik schreibt dazu: „Unsere Stadt glich einem Heerlager. Die verängstigten Einwohner versuchten die Stadt zu verlassen, doch wurde das verboten. Stargard sollte ,bis zum letzten Mann‘ verteidigt und unbedingt gehalten werden. Erst Mitte Februar, als die ersten Granaten bereits in die Stadt fielen, durften die Bewohner auf eigene Faust die Stadt verlassen. Wer noch mitgenommen wurde, fuhr mit der Eisenbahn. Andere hatten sich mit Pferd und Wagen aufgemacht und brachten auf diese Weise manchmal sogar noch einige wenige Habe mit aus der verlassenen Wohnung. Viele, viele aber flüchteten zu Fuß in Richtung Massow, Gollnow oder Stettin, bis zum Zusammenbrechen mit dem Allernotwendigsten beladen.“
Der Krieg endet am 8. Mai 1945 mit der Kapitulation der Wehrmacht. Wo Lieselotte und Martha diese Nachricht erreicht, ist heute nicht mehr bekannt. Möglicherweise im thüringischen Heiligenstadt: In der damaligen sowjetischen Besatzungszone halten sich Mutter und Tochter nach der Flucht bis zu ihrem Übertritt in die britische Zone am 10. Dezember 1945 auf. Danach reisen beide weiter nach Oldenburg, wo sie von Erich Kramp – mittlerweile aus britischer Gefangenschaft entlassen – erwartet werden. In Oldenburg beziehen Lieselotte, Erich und Martha zunächst eine kleine Wohnung in der Winkelmannstraße. Bald darauf ist Lieselotte schwanger, im November 1946 bringt sie Sohn Wolfgang zur Welt.
In der Zwischenzeit hat Erich im Salon Freese in der Achternstraße Arbeit gefunden. Durch seinen Kunden Heino Sander, einem Viehhändler aus Hemmelsberg, erfährt er eines Tages, dass im Nachbarort Altmoorhausen ein kleiner Frisiersalon zur Vermietung steht. Diese Chance, gemeinsam in die Selbstständigkeit zu starten, wollen Lieselotte und Erich nicht verstreichen lassen. Mit dem früheren Betreiber werden sie ebenso schnell einig wie mit dem Verpächter Anton Budde, und auch für das Problem des fehlenden Meisterbriefs (Erich konnte während des Krieges die Meisterschule nicht beenden) gibt es eine pragmatische Lösung: Während Erich weiterarbeitet und Geld verdient, besucht Lieselotte die entsprechenden Kurse.
Am 13. Juli 1951 legt Lieselotte vor der Handwerkskammer Oldenburg ihre Meisterprüfung ab. Zu diesem Zeitpunkt lebt sie mit Erich, Wolfgang und Martha bereits in Altmoorhausen, und zwar im Obergeschoss des Hauses von Georg und Bernhardine Hemme (heute: Raphael Muller). Der gemietete Salon befindet sich nur 200 Meter entfernt, in den Räumen der örtlichen Gastwirtschaft. Für den Anfang der perfekt gelegene Standort, der jedoch nur wenig Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Für Lieselotte und Erich ist deshalb schnell klar, dass über kurz oder lang eine andere Lösung her muss. Die findet sich, als Vermieter Georg Hemme einem Verkauf seines Hintergrundstücks zustimmt: Dort lassen Lieselotte und Erich ein kombiniertes Wohn- und Geschäftshaus (heute: Wolfgang und Ursula Kramp) errichten, das im August 1958 bezugsfertig ist und sowohl Platz für einen Damen- als auch einen Herren-Salon bietet.
Obwohl von Anfang an fest in die Dorf-Gemeinschaft integriert, verbringen Lieselotte und Erich in den folgenden Jahrzehnten nur wenig freie Zeit in Altmoorhausen. Geschuldet ist das ihrem gemeinsamen Hobby, dem Camping. Ein auf einem Zeltplatz an der Thülsfelder Talsperre stationierter Wohnwagen wird Mitte der 1960er Jahre ihr zweites Zuhause, hier nächtigen sie an vielen Wochenenden und knüpfen dabei zahlreiche neue Bekanntschaften. Während Erich in dieser Zeit gern einem zweiten großen Hobby, dem Angeln, frönt, vertreibt sich Lieselotte die Zeit bevorzugt mit Lesen und Handarbeiten.
Die 1970er Jahre beginnen für Lieselotte vielversprechend. Sohn Wolfgang, inzwischen ebenfalls zum Friseur ausgebildet, verlobt sich mit Ursula Moormann aus Harkebrügge und führt seine Auserwählte im Oktober 1973 zum Traualtar. Überschattet wird dieses freudige Ereignis von der zunehmenden Gebrechlichkeit der Mutter: Martha Klokow stirbt Ende Dezember 1973, immerhin 86 Jahre alt geworden, nach einer längeren Phase häuslicher Pflege. Das Jahrzehnt endet mit dem absehbaren Ruhestand: Im Dezember 1979 feiert Ehemann Erich seinen 65. Geburtstag, kurz darauf übergeben er und Lieselotte das Geschäft an Wolfgang.
Der Ruhestand ermöglicht es Lieselotte und Erich, noch mehr Zeit in Thülsfelde zu verbringen. Vier Jahre nach der 1992 im mittlerweile von Dieter und Karin Wicht geführten Dorf-Gasthof gefeierten Goldenen Hochzeit heißt es dann Abschied zu nehmen von Erich, er stirbt im Alter von 81 Jahren. Lieselotte selbst stirbt am 7. Oktober 2001, einen Tag nach ihrem 80. Geburtstag. Beerdigt ist sie vier Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.