Gustav Stolle – Biographie

Gustav Heinrich Stolle wird am 1. Februar 1910 als drittes Kind von Gerhard Hinrich Stolle und Anna Stolle in Hurrel geboren. Er ist der jüngere Bruder von Johann Stolle und der ältere Bruder von Adele Schweers, Georg Stolle und Gerhard Stolle. Ein weiterer Bruder ist im März 1907 unmittelbar nach der Geburt gestorben und deshalb namenlos geblieben.

Am Tag von Gustavs Geburt beginnt im Deutschen Reich offiziell das Piloten-Zeitalter: Der aus der Nähe von Münster stammende Ingenieur August Euler erhält nach bestandener praktischer Prüfung den ersten Flugzeug-Führerschein Deutschlands ausgestellt. Dazu muss Euler drei geschlossene Rundflüge von mindestens fünf Kilometern absolvieren, ohne den Boden zu berühren. Nach jeder Runde muss er zudem sicher „ohne Defekt und Bruch“ landen und den Motor anhalten – und zwar nicht mehr als 150 Meter weit von jenem Punkt entfernt, der dafür zuvor festgelegt worden ist.

Obwohl die Fliegerei in Deutschland im Jahre 7 nach dem ersten Motorflug der Gebrüder Wright nun amtlich reglementiert ist, steckt sie – die Prüfungsanforderungen belegen es – noch immer in den Kinderschuhen. Dabei tut sich Euler gleich mehrfach als Pionier hervor. So gründet er in Griesheim bei Darmstadt nicht nur eine der ersten deutschen Fabriken für Motorflugzeuge, er betreibt an gleicher Stätte auch den ersten Flugplatz und die erste Flugzeugführer-Schule Deutschlands. Dort bildet er unter anderem Heinrich von Preußen aus – der jüngere Bruder des deutschen Kaisers Wilhelm II. erhält am 19. November 1910 das Flugmaschinenführer-Zeugnis mit der laufenden Nummer 38.

Als einer der wenigen Repräsentanten der Reichsführung drängt Heinrich von Preußen frühzeitig darauf, Flugzeuge militärisch zu nutzen. Gemeinsam mit Euler ruft er im April 1912 zur Nationalflugspende auf, die den Vorsprung Frankreichs auf diesem Gebiet aufholen soll. Tatsächlich gelingt es bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914, mit dem Erzrivalen und Kriegsgegner gleichzuziehen. Dazu trägt unter anderem ein von Euler zum Patent angemeldetes Maschinengewehr bei, das fest im Flugzeug installiert und mit der Steuerung gekoppelt ist.

Gustavs Vater Gerhard Hinrich gehört zu jenen Hurrelern, die unmittelbar nach Kriegsausbruch zur Armee einrücken. Nicht die einzige Veränderung auf dem von den Eltern gepachteten Hof (heute: Hartmut und Ute Stolle): Mutter Anna Rebecka ist im Sommer 1914 erneut schwanger und bringt im Februar 1915 Gustavs jüngeren Bruder Georg zur Welt. Er stirbt allerdings bereits in der Karwoche 1916, also kurz vor Gustavs Einschulung.

Die ersten Jahre in der Volksschule Hurrel, in der unter anderem Aline Albers, Bertha Albers, Erna Barkemeyer, Anni Bleckwehl, Gerhard Janzen, Erna Lange, Adolf Pape, Johann Pape, Elli Rüdebusch, Georg Rüdebusch und Heinrich Schütte zu seinen in etwa gleichaltrigen Mitschülern gehören, sind für Gustav geprägt von der Unsicherheit, seinen Vater nach Kriegsende wieder in die Arme schließen zu dürfen. Dieser kehrt jedoch Ende 1918 unversehrt nach Hause zurück und kann sich im Jahr darauf über die Geburt des fünften Kindes Gerhard freuen.

Ähnlich wie die Einschulung werden auch Gustavs Schulabschluss und Konfirmation durch einen Todesfall überschattet: Vater Gerhard stirbt im Februar 1924 – wenige Monate nach dem Hitler-Ludendorff-Putsch und dem Ende der deutschen Hyperinflation – an einer Lungenentzündung. Gustavs älterer Bruder Johann, zu diesem Zeitpunkt auf dem benachbarten Hof von Georg Barkemeyer (heute: Irmgard Wachtendorf) in Stellung, kehrt daraufhin nach Hause zurück und übernimmt zusammen mit Mutter Anna Rebecka die Leitung des Hofes. Gustav selbst orientiert sich derweil Erzählungen aus der Familie zufolge außerhalb der Landwirtschaft und beginnt in Köterende eine Ausbildung beim Bauunternehmer Friedrich Heins. Ob er dort auch wohnt oder Ende der 20er Jahre in Hurrel den Umzug der Familie auf einen anderen, Carl Schwarting gehörenden Pachthof (heute: Jörg und Monika Wittkopf) mitmacht, lässt sich allerdings nicht mehr mit Gewissheit klären.

Obwohl Gustav und Bruder Johann beruflich getrennte Wege gehen, bleibt ihr privates Leben eng miteinander verbunden. Denn im November 1935 – dreieinhalb Jahre nach Johanns Hochzeit mit Bertha Timmermann aus Kirchkimmen – heiratet Gustav Berthas jüngere Schwester Käthe. Mit einiger Sicherheit haben sich beide über die Verbindung ihrer Geschwister kennengelernt.

Zwischen den beiden Trauungen liegen zwar nur wenige Jahre, doch politisch trennt das Jahr 1935 vom Jahr 1932 in Deutschland Welten: Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 endet die Weimarer Republik, die Diktatur des Dritten Reichs beginnt. Wohin dieser Weg führen wird, lässt sich im November 1935 durchaus schon erahnen: So feiert die gleichgeschaltete Presse in jenem Monat mit viel Pathos den Einzug des ersten Rekruten-Jahrgangs in die Kasernen, den die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht im März 1935 möglich gemacht hat. Gustav und Käthe gehören darüber hinaus zu den ersten Ehepaaren, denen das Standesamt aufgrund des am 18. Oktober 1935 erlassenen Gesetzes zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes eine Ehe hätte untersagen können.

Nach der Trauung ziehen Gustav und Käthe in ein am Rande von Altmoorhausen liegendes, heute nicht mehr bestehendes Heuerhaus von Bernhard Haverkamp. Während Käthe sich um den im Dezember 1936 geborenen Sohn Alfred kümmert und nebenbei Schneider-Aufträge erledigt, arbeitet Gustav weiter für Friedrich Heins und dessen Sohn August, die mittlerweile in Hude die Huder Mühlenbauanstalt und Mühlsteinfabrik (später Hudo-Werk KG) gegründet haben. Ein Dienstverhältnis, das schon bald nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 abrupt endet.

Wann genau Gustav seine Einberufung zur Wehrmacht erhält, ist in der Familie nicht mehr bekannt. Gleiches gilt für die Umstände, unter denen er am 15. Oktober 1943 in der Nähe der ukrainischen Stadt Winniza zu Tode kommt. Dort befindet sich der Deutschen Kriegsgräberfürsorge zufolge bis heute sein Grab. Wo indes genau, ist unklar, was eine Überführung auf einen der in der Region angelegten Soldaten-Friedhöfe bislang verhindert.