Harro Hartmann wird am 31. Dezember 1923 als drittes Kind von Friedrich Hartmann und Anna Hartmann in Altmoorhausen geboren. Er ist der jüngere Bruder von Heinz Hartmann und Helmut Hartmann.
„Nun geht das Krisenjahr zu Ende. Die inneren und äußeren Gefahren waren so groß, dass sie Deutschlands ganze Zukunft bedrohten“, schreibt Edgar Vincent am Tag von Harros Geburt in sein Tagebuch. Damit bringt es der seit 1920 in Berlin amtierende Botschafter Großbritanniens auf den Punkt. Wer hätte schon zwei oder drei Monate zuvor darauf wetten wollen, dass die Ende 1918 auf den Trümmern des Kaiserreichs begründete Weimarer Republik am 31. Dezember 1923 noch existiert? Vermutlich niemand, selbst wenn es nur um einen Bagatellbetrag von fünf oder sechs Milliarden Mark gegangen wäre. Also um den Gegenwert für einen Laib Brot oder einen Liter Milch.
Die im genannten Beispiel zum Ausdruck kommende Hyperinflation ist nicht das einzige Problem, das dem Weltkriegs-Verlierer Deutschland 1923 im Nacken sitzt. Beginnt das Jahr doch mit einer massiven Verletzung der staatlichen Souveränität: Zwischen dem 11. und dem 16. Januar besetzen französische und belgische Truppen weite Teile des Ruhrgebiets, um die im Versailler Vertrag festgelegten Reparationszahlungen durchzusetzen. Die von Wilhelm Cuno geführte Reichsregierung ruft daraufhin zum passiven Widerstand auf und unterstützt die in einen Generalstreik tretenden Arbeiter großzügig mit frischem Geld aus der Druckerpresse – was die ohnehin schon galoppierende Inflation vollends außer Kontrolle geraten lässt und im August Cunos Sturz herbeiführt. Im Oktober rufen Separatisten die Rheinische Republik aus, fast zeitgleich organisieren Bürgerschafts-Abgeordnete der demokratiefeindlichen KPD in Hamburg einen an der russischen Oktoberrevolution orientierten Aufstand. In München wiederum versuchen sich Anfang November völkische Kräfte um Adolf Hitler und Erich Ludendorff mit ihrem Marsch auf die Feldherrnhalle gewaltsam an die Macht zu putschen.
Letztlich laufen jedoch alle Angriffe gegen die Republik ins Leere, und das neue Jahr bringt gleich mehrere Hoffnungsschimmer: So gräbt die im November 1923 eingeführte Rentenmark der Inflation erfolgreich das Wasser ab, und der der im August 1924 präsentierte Dawes-Plan verspricht deutliche Erleichterungen bei den Reparationen. Es beginnen die Goldenen Zwanziger, in denen neben der Wirtschaft auch die Kultur floriert und der am 29. Oktober 1923 gestartete öffentliche Rundfunk seine erste Blütezeit erlebt. Gibt es Ende 1923 in Deutschland erst 1.500 registrierte Rundfunkgeräte, so sind es zwei Jahre später bereits mehr als 850.000.
Zumindest theoretisch lassen sich schon ab Mitte 1924 auch in Harros Heimatdorf Altmoorhausen Radiosendungen empfangen. Möglich macht es die Nordische Rundfunk AG, die von Hamburg aus sendet. Die Praxis sieht freilich anders aus: Der Empfang kostet zum einen Gebühren und ist zum anderen gerade in ländlichen Gebieten noch sehr schwach oder von Störgeräuschen geprägt. So bleibt der in Harros direkter Nachbarschaft wohnende Gastwirt Diedrich Friedrich Lüers bis zu seinem Wegzug 1927 der einzige Teilnehmer.
Erst im Frühjahr 1932 unternimmt Harros als Dorfschullehrer arbeitender Vater einen neuen Anlauf und lässt aus dem 30 Kilometer entfernten Wildeshausen einen Radio-Fachmann anreisen. „Der montierte und experimentierte einen ganzen Tag bei uns“, erinnert sich Harros Bruder Heinz in seinen Erinnerungen. „Er spannte eine lange Leitung vom höchsten Birnbaum in unserem Garten bis zum Schornstein des Hauses, und von dort eine Zuleitung durchs Fenster in unser Wohnzimmer. Hier auf dem Schreibtisch meines Vaters wurde ein Radiogerät aufgestellt und mit dieser aufwendig errichteten Antenne verbunden. Und Wunder der Technik, plötzlich tönte Musik aus Hamburg durchs Haus.“ Ein Moment, den sicher auch Harro als damals Achtjähriger in bleibender Erinnerung behält.
Im Frühjahr 1932 besucht Harro bereits seit zwei Jahren die Volksschule Altmoorhausen, in die er im wahrsten Sinne des Wortes hineingeboren wurde und in der sein Vater wie zu jener Zeit üblich alle Kinder des Dorfes in einem einzigen Raum unterrichtet. Zu Harros in etwa gleichaltrigen Klassenkameraden gehören unter anderem Heinz Barkemeyer, Georg Budde und Heinz Punke. Mit ihnen zusammen erlebt er in den folgenden Monaten, wie die sich dramatisch verschärfende Weltwirtschaftskrise den sich als Retter aufspielenden Nationalsozialisten Wähler zutreibt und so das Ende der Weimarer Republik einläutet. Nach der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler im Januar 1933 nimmt dann der Rundfunk auch in Altmoorhausen schnell eine wichtige Rolle ein: Als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda trägt der langjährige Hitler-Vertraute Joseph Goebbels maßgeblich dazu bei, dass in nahezu jedem Haushalt ein Volksempfänger genanntes Radiogerät steht und die jeweils neuesten regierungsamtlichen Meldungen verbreitet.
Die Veränderungen, die der NS-Staat für Jugendliche wie ihn in der Schule und später in der Hitlerjugend mit sich bringt, erlebt Harro vermutlich eher als spannende Abwechslung vom Alltag denn als das, was es in Wahrheit ist – die zielgerichtete Vorbereitung auf einen späteren Kriegseinsatz. Noch bevor dieser von langer Hand geplante Krieg sich am Horizont abzeichnet, kommt es Anfang 1937 zu einem tragischen Unglücksfall. Ihn schildert Bruder Heinz, der seit Frühjahr 1934 bei der verwitweten Tante Johanne Hartmann in der Nähe von Diepholz lebt und die Weihnachtsferien in Altmoorhausen verbringt, in seinen Erinnerungen wie folgt: „Am 3. Januar, Sonntagnachmittag um 16 Uhr, saßen wir mit Verwandten aus Ellenserdamm am Kaffeetisch, als es plötzlich ungestüm an der Tür klopfte. Nachbar Bauer Heinrich Budde bat meinen Vater heraus und eröffnete ihm, dass meinem Bruder Harro etwas Schlimmes passiert sei. Buddes Sohn Georg habe mit Harro auf dem Püschenberg gespielt, dabei habe sich Harro mit seinem Flobert angeschossen. Mein Vater und ich rannten so schnell wir konnten über die Wiesen querfeldein zum etwa 800 Meter entfernten Püschenberg. Ich als der Schnellere war zuerst dort und fand meinen Bruder mit gebrochenen Augen tot in der Heide liegen.“
So ist es zu dem Unglück gekommen: Harro und Georg machen Schießübungen, anschließend legt Harro das zu Weihnachten bekommene, nach seinem Erfinder Louis-Nicolas Flobert benannte Kleinkalibergewehr hinter einen Weidezaun und widmet sich mit seinem Kameraden vorübergehend einem anderen Spiel. Als die beiden Jungen nach Hause wollen, zieht Harro das nicht gesicherte Gewehr durch den Zaun zu sich heran. Dabei löst sich ein Schuss und trifft ihn unterhalb des Herzens in die Hauptschlagader. „Oh Georg, was habe ich da gemacht, komm‘ schnell nach Hause“ ruft er noch und läuft los, kommt allerdings nicht weit. Nach nur 50 Metern bricht er innerlich verblutet zusammen.
Beerdigt ist Harro wenige Tage nach seinem mit 13 Jahren viel zu frühen Tod in Hude auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche.