Herbert Rüscher – Biographie

Herbert Hinrich Rüscher wird am 23. Juni 1912 als sechstes Kind von Gerhard Rüscher und Meta Rüscher in Altmoorhausen geboren. Er ist der jüngere Bruder von Martha Wachtendorf, Georg Rüscher, Else Ahrens und Adolf Rüscher. Ein weiterer, im Juni 1908 geborener Bruder kommt tot zur Welt und bleibt namenlos.

Drei Tage nach Herberts Geburt gewinnt Georges Boillot auf dem Circuit de Dieppe in der Normandie den an zwei aufeinanderfolgenden Tagen über eine Distanz von 1.540 Kilometern ausgefahrenen Großen Preis von Frankreich. Das Siegerfahrzeug mit der Typenbezeichnung L 76 stammt vom französischen Automobil-Hersteller Peugeot, der 1912 zum ersten Mal bei einem der immer populärer werdenden Grand-Prix-Rennen antritt. Für die Premiere hat Firmenchef Robert Peugeot weder Kosten noch Mühe gescheut: So wirbt er im Vorfeld nicht nur Star-Ingenieur Ernest Henry vom Konkurrenten Hispano-Suiza ab, sondern stellt auch als erster Hersteller überhaupt ein festes Budget für ein eigenes, neben Boillot und Henry noch aus den Fahrern Paolo Zuccarelli und Jules Goux bestehendes Grand-Prix-Team zur Verfügung.

Basis des Erfolgs ist ein von Henry konstruierter Motor, der mit einem Hubraum von 7,6 Litern und doppelter obenliegender Nockenwelle deutlich kompakter ausfällt als bei den anderen Teilnehmern. Am Ende des ersten Renntages liegt Boillot allerdings zunächst noch mit einem Rückstand von zwei Minuten auf den führenden Amerikaner David Bruce-Brown auf Rang 2. Als Letzterem am nächsten Tag ein Hund in die Quere kommt und dabei die Benzinleitung seines Wagens beschädigt, ist der Weg für Boillot frei – obwohl er kurz vor Schluss ebenfalls noch einmal in Bedrängnis gerät. Weil sich sein Schaltgestänge verbogen hat, absolviert der Franzose die beiden letzten Runden ohne zu schalten im höchsten Gang. Zweiter mit 13 Minuten Rückstand wird Louis Wagner auf einem Fiat S 74, Boillots Teamgefährten Zuccarelli und Goux sind ebenso ausgeschieden wie weitere 31 der ursprünglich 47 gemeldeten Fahrer.

Nur wenige Wochen später gewinnt Boillot das Bergrennen am südfranzösischen Mont Ventoux. Am 30. Mai 1913 ist der L-76 dann das erste europäische Rennauto, das – dieses Mal mit Jules Goux am Steuer – bei den 500 Meilen von Indianapolis triumphiert. Welchen Gefahren die Piloten bei ihrem Sport ausgesetzt sind, zeigt indes kurz darauf das Schicksal von Paolo Zuccarelli. Der dritte Fahrer des Peugeot-Teams stirbt am 19. Juni 1913 bei einem Trainingsunfall, ebenso wie acht Monate zuvor schon US-Konkurrent David Bruce-Brown. Und auch Georges Boillot ist kein langes Leben vergönnt: Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 meldet er sich freiwillig zur Armee, wo er eine Ausbildung zum Kampfflieger absolviert. Am 19. Mai 1916 wird er bei einem Luftkampf nahe Verdun abgeschossen und erliegt einen Tag später seinen schweren Verletzungen.

Tragödien, die der Erste Weltkrieg mit sich bringt, gibt es auch in Herberts Heimat zuhauf. Mit Hinrich Gode, Hinrich Mönnich, Karl Schweers und Friedrich Wieting haben bis zum Mai 1916 bereits vier Altmoorhauser auf den Schlachtfeldern der Ost und Westfront ihr Leben verloren. Hinzu kommen weitere Opfer aus den Nachbardörfern Hurrel und Lintel. Auch Herberts Vater ist seit 1914 Soldat. Wo genau Gerhard Rüscher im Frühjahr 1916 stationiert ist, liegt mehr als 100 Jahre später allerdings im Dunkeln – ebenso, ob Herbert als knapp Vierjähriger den damit verbundenen Ernst der Lage einigermaßen realistisch einzuschätzen vermag. Dass Mutter Meta im von der Familie am Pohlweg gemieteten Heuerhaus (heute: Ingo Fischer) des Nachts so manche Stunde wachliegt, dürfte jedoch gewiss sein.

Weil seit April 1916 auch Dorfschullehrer Johann Folkers Kriegsdienst leistet, besuchen Herberts ältere Geschwister seit Ende der Osterferien die knapp drei Kilometer entfernte Volkschule in Hemmelsberg. Dort wird ein Jahr später als viertes schulpflichtiges Kind der Familie der im April 1911 geborene Bruder Adolf eingeschult. Bevor im Frühjahr 1919 in der wiedereröffneten Altmoorhauser Schule auch Herbert an die Reihe kommt, ist der Krieg zu Ende und Vater Gerhard wieder zu Hause. Da Vorgänger Johann Folkers zu den mehr als neun Millionen toten Soldaten auf beiden Seiten gehört, wird Herbert dort in direkter Nachbarschaft seines Elternhauses acht Jahre lang vom neu eingesetzten Schulleiter Friedrich Hartmann unterrichtet. Zu seinen in etwa gleichaltrigen Mitschülern gehören neben Bruder Adolf unter anderem Fritz Breas, Anton Budde und Adolf Tönjes.

Während Herbert behütet von den älteren Geschwistern den Schulalltag kennenlernt, arbeitet Gerhard Rüscher wieder in der Ziegelei Munderloh. Angesichts der harten Bedingungen des in Versailles geschlossenen Friedensvertrages, den die Vertreter der auf das zusammengebrochene Kaiserreich folgenden Weimarer Republik wohl oder übel akzeptieren müssen, gestalten sich die folgenden Jahre für die Familie wie für nahezu alle Deutschen äußerst schwierig. Spätestens ab Anfang 1923 hat die stetig zunehmende Inflation das Land so fest im Griff, dass Herberts älteste Schwester Martha keinen anderen Ausweg sieht als die Hollandgängerei. Die zweite Schwester Else – nach Schulabschluss und Konfirmation zunächst auf einem Hof in Munderloh in Stellung – nimmt 1926 denselben Weg, während der älteste Bruder Georg nach Abschluss seiner Lehre als Malergeselle arbeitet.

Auf der Suche nach einer eigenen Lehrstelle wird Herbert in Kirchhatten fündig, in der Werkstatt des Schneidermeisters Wilhelm Diekmann. Dort beginnt er Anfang Mai 1927 seine Ausbildung, die insgesamt vier Jahre dauert. Die anschließende Gesellenprüfung besteht Herbert sowohl im theoretischen als auch im praktischen Teil mit „ziemlich gut“. Ob er danach noch eine Zeitlang bei seinem Lehrherrn weiterarbeitet, ist heute nicht mehr bekannt. Bald darauf wechselt er jedoch zum Tweelbäker Schneidermeister Heinrich Haverkamp. Dessen damaligen Werkstatt gegenüber, auf der anderen Seite des Rohdenwegs, liegt der heute ebenfalls nicht mehr bestehende Hof des Landwirts Hermann Halle. Auf dessen Grundstück wiederum wohnt in einem Heuerhaus das Ehepaar Johann Heinrich August und Antonie Asche mit ihrer jüngsten, im Januar 1915 geborenen Tochter Herta.

Bei welcher Gelegenheit aus Herbert, der nach wie vor in Altmoorhausen wohnt, und Herta ein Paar wird, lässt sich nur vermuten. Vielleicht auf einem Tanzabend im nahegelegenen Tweelbäker Schützenhof? Sehr wahrscheinlich aber ist zu diesem Zeitpunkt die 1918 ausgerufene Weimarer Republik bereits Geschichte, und es regieren die 1933 im Zuge der Weltwirtschaftskrise an die Macht gespülten Nationalsozialisten unter ihrem Führer Adolf Hitler. Dessen Versprechen, nicht nur die Krise zu beenden, sondern auch das „Schanddiktat von Versailles“ aus der Welt zu schaffen, verfängt bei allzu vielen Wählern, die über die damit verbundene Konsequenz – die hohe Wahrscheinlichkeit eines neuen Krieges – hinwegsehen oder diese Gefahr nicht ernst genug nehmen.

Herbert und Herta heiraten am 31. Januar 1939 in Oldenburg. Danach ziehen sie zunächst bei Herberts inzwischen verwitweter Schwiegermutter ein. Neun Wochen später bringt Herta Sohn Horst zur Welt. Als im September 1940 Tochter Anita hinzukommt, tobt bereits seit einem Jahr der von Hitler entfachte Zweite Weltkrieg. Wie Millionen anderer Männer wird auch Herbert zur Wehrmacht eingezogen und sieht seine Familie fortan nur noch anlässlich kurzer Heimaturlaube.

Den zweiten, im Februar 1945 geborenen Sohn Gundolf bekommt Herbert gar nicht mehr zu Gesicht: Kurz nachdem er in Ostpreußen auf dem Rückzug vor der Roten Armee von dessen Geburt erfahren hat, wird er am 14. April 1945 während eines Bombenangriffs zwischen Bludau und Fischhausen zusammen mit rund 60 Kameraden in einem zuvor frisch ausgehobenen Graben verschüttet. Den späteren Schilderungen eines Augenzeugen zufolge kann Herberts Leiche im allgemeinen Schlachtgetümmel nicht geborgen werden, ihr Verbleib ist laut Auskunft der Deutschen Kriegsgräberfürsorge bis heute ungewiss.