Hermine Hemme – Biographie

Hermine Katharine Hemme wird am 21. Mai 1909 als zweites Kind von Hermann Grummer und Sophie Grummer auf dem elterlichen Hof in Altmoorhausen (heute: Henning Struthoff) geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Alma Haverkamp und die ältere Schwester von Bernhard Grummer.

Wenige Wochen vor Hermines Geburt tritt im Deutschen Reich das „Reichsgesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen“ in Kraft. Es regelt erstmals verbindlich für ganz Deutschland, dass „durch Maschinenkraft bewegte Wagen oder Fahrräder“ nur von Personen gelenkt werden dürfen, die dafür eine Erlaubnis besitzen. Ferner führt es die Gefährdungshaftung im Straßenverkehr ein: Wer Dritte beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs verletzt oder ihnen sonstigen Schaden zufügt, muss dafür aufkommen.

Das neue Gesetz – Vorläufer der heutigen Straßenverkehrsordnung – ist überfällig. Im Reichsgebiet sind damals rund 40.000 Automobile unterwegs, die Unfälle häufen sich. Dabei kommen 1908 insgesamt 141 Menschen ums Leben, fast dreimal so viel wie noch 1906. Meist ohne Folgen für die Verursacher. Überliefert ist in diesem Zusammenhang die Klage eines preußischen Landtagsabgeordneten: „Die Automobilisten legen oft eine beispiellose Rohheit an den Tag, wenn sie so dahinsausen. Gerade die Landwege sind besonders gefährdet, und die Landbevölkerung ist über die Autler in höchstem Maße verbittert, zumal da diese sich, wenn sie etwas angerichtet haben, durch die Flucht der Verantwortung zu entziehen belieben.“

Ob eine solche Verbitterung auch im traditionell sehr ländlich geprägten Großherzogtum Oldenburg zu spüren ist und ob in Altmoorhausen bis zu jenem Zeitpunkt jemals ein rücksichtsloser Autofahrer die öffentliche Sicherheit gefährdet hat, lässt sich nur vermuten. Fest steht allerdings. Gab es so einen Fall, so war der Schuldige kein Altmoorhauser – im Dorf besitzt 1909 noch niemand ein Automobil. Ebenso wenig 1914, als kurz nach Hermines fünftem Geburtstag der Erste Weltkrieg losbricht.

Die Jahre von 1914 bis 1918 halten für Hermine gleich mehrere prägende Erlebnisse bereit. Zum einen natürlich die Abwesenheit des Vaters, der als Soldat am Krieg teilnimmt. Zum anderen die ersten Schuljahre, die von chronischem Lehrermangel sowie einer zeitweisen Verlagerung des Unterrichts ins Nachbardorf Hemmelsberg gekennzeichnet sind. Und schließlich jenen verhängnisvollen Tag im Sommer 1917, an dem ein Blitz auf dem Grummer-Hof einschlägt und einen großen Teil der Gebäude durch Feuer vernichtet.

Nach dem Brand finden Hermine, Mutter Sophie und Schwester Alma Unterschlupf auf dem Hof ihres Onkels Diedrich Schwarting in Hurrel (heute: Heiko und Anieka Schwarting). Dort schläft Hermine Erzählungen aus der Familie zufolge zum ersten Mal in einem richtigen Bett – vom Grummer-Hof ist sie nur Alkoven gewohnt. Mit Anna Mathilda Tönjes und Helene Pflug hat Hermine noch zwei Tanten väterlicherseits in Hurrel, mit Helenes kurz vor dem Abschluss stehendem Sohn Gerhard besuchen sie und Alma in dieser Zeit auch die örtliche Volksschule.

Nach Kriegsende im November 1918 bleiben Sophie, Alma und Hermine zunächst noch in Hurrel, während Vater Hermann in Altmoorhausen mit dem Wiederaufbau des Hofes beginnt. Erst 1921 ist das neu erbaute Haupthaus bezugsfertig, so dass die Familie wieder unter einem Dach wohnen kann. Ihre restliche Schulzeit verbringt Hermine dann wieder in der Volksschule Altmoorhausen.

Nach Schulabschluss und Konfirmation arbeitet Hermine zunächst weiter zu Hause, wo es auf dem rund 35 Hektar großen Hof mehr als genug zu tun gibt. Zudem unterstützt sie Mutter Sophie bei der Versorgung des im Januar 1922 geborenen Bruders Bernhard. In den Jahren nach der großen Hyperinflation erobern dann auch in Altmoorhausen ganz allmählich Automobile die Straßen. Zweimal in der Woche fährt der 2007 von Erika Burhop erstellten Dorfchronik zufolge ein Postbus ins 15 Kilometer entfernte Oldenburg, und sogar eine Autoreparaturwerkstatt siedelt sich an. Die aus den USA herüberschwappende Weltwirtschaftskrise versetzt dem zarten Aufschwung jedoch zu Beginn des neuen Jahrzehnts einen empfindlichen Dämpfer, den die von breiten Schichten der Bevölkerung ungeliebte Weimarer Republik nicht übersteht: Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler im Januar 1933 beginnt der Marsch in den NS-Staat.

Wann und bei welcher Gelegenheit Hermine in diesem zunehmend nationalistisch aufgeheizten Umfeld Otto Hemme aus Munderloh kennenlernt, ist nicht überliefert. Die beiden heiraten im Oktober 1936, und Hermine zieht zu Otto auf den im Nachbarort an der Munderloher Straße gelegenen Hemme-Hof. Aus der Ehe gehen mit Inge (April 1937), Christa (August 1938), Günter (Oktober 1940) und Gisela (Mai 1943) vier Kinder hervor. Irgendwann zwischen Günters und Giselas Geburt wird Otto zum seit 1939 tobenden Zweiten Weltkrieg einberufen, der sich spätestens nach der im Februar 1943 verlorenen Kesselschlacht von Stalingrad mehr und mehr zu Ungunsten Hitler-Deutschlands wendet. Die Schlussphase des Krieges erlebt Otto an der Ostfront, wo er im Laufe des Kampfes um Ungarn in russische Gefangenschaft gerät.

Von diesem Ereignis erfährt Hermine an der ebenfalls zusammenbrechenden Heimatfront zunächst nichts. Sie ist vollauf damit beschäftigt, sich und ihre vier Kinder heil über die letzten Kriegswochen zu bringen. Bei der Eroberung Kirchhattens durch kanadische Truppen Ende April 1945 geht der Hemme-Hof wie zahlreiche weitere Gehöfte der Umgebung in Flammen auf. Das Ende der ungleichen, von den fanatisierten Verteidigern sinnlos in die Länge gezogenen Kampfhandlungen erlebt Hermine im Bunker eines Nachbarhofes.

An einen Wiederaufbau des Hemme-Hofes ist in der Stunde Null des Jahres 1945 zunächst nicht zu denken. Hermine zieht deshalb mit den Kindern zurück nach Altmoorhausen zu ihrem seit 1941 verwitweten Vater, dessen Hoffnungen auf die Rückkehr des im Osten vermissten Sohnes Bernhard sich nicht erfüllen. Gleiches gilt für Hermine: Jene Gestalt, die sie eines Tages im Frühjahr 1948 auf den Grummer-Hof zusteuern sieht, ist nicht wie zunächst vermutet Ehemann Otto, sondern ein ehemaliger Kriegskamerad. Er überreicht Hermine Ottos Erkennungsmarke und berichtet, dass dieser bereits 1945 in einem Gefangenenlager im Ural verstorben ist.

Da es auch in den folgenden Jahren keinerlei Nachricht über den Verbleib von Bruder Bernhard gibt, erklärt Hermann Grummer Hermines älteste Tochter Inge zur Hof-Nachfolgerin. Hermines Vater stirbt im Februar 1959 kurz nach seinem 81. Geburtstag.

Nach den vorangegangenen Schicksalsschlägen hätte Inges für Mai 1960 geplante Hochzeit mit Heiko Struthoff aus Ganderkesee in Hermines Leben eine Art Rückkehr zur Normalität einläuten können. Indes, dazu kommt es nicht: Wenige Wochen vor der Hochzeit stürzt Hermine aufgrund zweier loser Bretter vom hauseigenen Heuboden und verletzt sich dabei schwer. Ein von ihren Töchtern eilig herbeigerufenes Miet-Taxi des Nachbarn Anton Budde bringt Hermine in die Klinik nach Kreyenbrück, wo sie sich zunächst etwas erholt. Einen Tag vor ihrem 51. Geburtstag erliegt sie dann allerdings einer Thrombose-bedingten Lungenembolie. Beerdigt ist Hermine am 23. Mai 1960 auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.