Johann Hinrich Hartmann wird am 4. August 1784 als zweites Kind von Hinrich Hartmann und Gesche Hartmann in Lintel geboren. Er ist der jüngere Bruder von Harm Hinrich Hartmann und der ältere Bruder von Ahlke Margarete Heyne.
Drei Wochen nach Johann Hinrichs Geburt erlässt Österreichs Kaiser Joseph II. eine neue Begräbnis-Verordnung, die in weiten Teilen der Bevölkerung für Empörung sorgt. Sie sieht zum einen vor, zum Schutz des Grundwassers auch in kleineren Gemeinden alle innerorts gelegenen Friedhöfe zu schließen. Zum anderen – und das ist der Stein des Anstoßes – sollen sämtliche Begräbnisse auf den im Außenbereich neu errichteten Friedhöfen künftig nach einem einheitlichen Muster ablaufen: Die Verstorbenen werden nackt in einen Leinensack eingenäht, in einem wiederverwendbaren Klapp-Sarg an die Grabstelle transportiert und dort nach dem Abkippen unverzüglich mit Kalk und Erde bedeckt.
Es ist eine Aktion, die ganz dem Staats- und Selbstverständnis des bis 1780 gemeinsam mit seiner Mutter Maria Theresia regierenden Kaisers entspricht. Joseph sieht sich als aufgeklärten Monarchen, der Entscheidungen nach rein rationalen Erwägungen trifft. So spart die neue Verordnung nicht nur Holz, sie beschleunigt auch die Verwesung und dient damit dem Seuchenschutz. Ganz zu schweigen davon, dass die mit den Toten beerdigte, meist sehr hochwertige Kleidung einem viel besseren Zweck dienen könnte als nutzlos auf dem Friedhof zu verrotten. Da die meisten seiner Untertanen diese und andere Zusammenhänge aber Josephs Überzeugung zufolge ohnehin nicht begreifen, müssen sie von oben zu ihrem Glück gezwungen werden – getreu dem Motto „Alles für das Volk, nichts durch das Volk.“ Mitsprache, ganz egal in welcher Form, verhindert nur den Fortschritt.
Dieses Mal allerdings hat Joseph den Bogen überspannt. Als die neue Verordnung Anfang 1785 öffentlich bekanntgemacht wird, weigern sich zahlreiche Pfarrer, sie umzusetzen. Aus Adel und Bürgertum hagelt es ebenfalls Proteste, und die um Ausnahmen bittenden Petitionen reißen nicht ab. Nach einem halben Jahr ist Joseph so genervt, dass er den Erlass kurzerhand zurücknimmt – ohne sich dadurch freilich in seinem paternalistischen Reformeifer bremsen zu lassen.
Im Herzogtum Oldenburg, zu dem Johann Hinrichs Geburtsort Lintel gehört, markiert das Jahr 1785 eine wichtige Zäsur. Am 6. Juli stirbt Großherzog Friedrich August, der wie Joseph II. und Preußens König Friedrich II. als Vertreter des aufgeklärten Absolutismus gilt. Da sein Sohn und Nachfolger Peter Friedrich Wilhelm bereits 1774 wegen Schizophrenie und religiöser Wahnvorstellungen für regierungsunfähig erklärt wurde, übernimmt Friedrich Augusts Neffe Peter Friedrich Ludwig die Regentschaft. Das bleibt anfangs nicht ohne Spannungen zwischen dem neuen, anders als Friedrich August am Regierungsalltag interessierten Herrscher und dem bis dato mit zahlreichen Sonder-Kompetenzen ausgestatteten Premierminister Friedrich Levin von Holmer. Letztlich raufen sich jedoch beide zusammen, und dass einer von ihnen sich je in Begräbnis-Fragen mit Oldenburgs Generalsuperintendent Gustav Ludwig Janson oder dessen Nachfolger an der Spitze der evangelisch-lutherischen Landeskirche, Esdras Heinrich Mutzenbecher, angelegt hätte, ist nicht überliefert.
Johann Hinrichs Familie erlebt den Regierungswechsel auf einem heute nicht mehr bestehenden Hof im Bereich des Altdorfes (in der Linteler Chronik von Walter Janßen-Holldiek als „alter von-Runnen-Hof“ bezeichnet). Dort arbeitet sein aus Hoykenkamp stammender Vater als Heuermann. Der besseren Bezahlung wegen beginnt Hinrich Hartmann aber vermutlich schon bald darauf mit der Hollandgängerei. Das würde zum einen erklären, warum er 1795 eine eigene Hofstelle im Nachbardorf Altmoorhausen gründen kann und zum anderen, warum sich der Bau des dazugehörigen Wohnhauses am Lemmelweg fast vier Jahre lang hinzieht.
Sehr wahrscheinlich hat Johann Hinrich bereits die Volksschule Lintel abgeschlossen, als die Familie ihr neues Domizil endlich beziehen kann. Da Vater Hinrich die Sommermonate weiter in Holland verbringt und der ältere Bruder der Altmoorhauser Chronik von Erika Burhop zufolge als Schneider in Hude arbeitet, dürfte Johann Hinrich von Anfang an voll in die Bewirtschaftung des neuen Hofes einbezogen sein. Im Laufe des Jahres 1803 trifft dann die Mitteilung aus Amsterdam ein, dass Hinrich Hartmann in der damals knapp 200.000 Einwohner zählenden Metropole verstorben ist. Die Hintergründe liegen knapp 220 Jahre später im Dunkeln, Krankheit ist ebenso möglich wie ein Arbeitsunfall oder eine andere unnatürliche Todesursache.
Während Bruder Harm Hinrich im November 1803 die Hurreler Witwe Anna Margarete Pieper heiratet und auf den Hof seines Schwiegervaters Bernd Stolle (heute: Gerd und Ute Schwarting) zieht, bewirtschaftet Johann Hinrich mit Mutter Gesche und Schwester Ahlke Margarete weiter den kleinen Hof in Altmoorhausen. In jener Zeit alles andere als eine leichte Aufgabe, zumal die politischen Verhältnisse immer unsicherer werden. Seit 1792 jagt in Europa ein Koalitionskrieg den nächsten, wie viele andere Länder gerät auch das Herzogtum Oldenburg immer stärker unter französischen Einfluss und wird im Dezember 1810 von Napoleon Bonaparte annektiert. Zwei Monate später geht Herzog Peter Friedrich Ludwig ins russische Exil.
Sein Geburtsjahr 1784 bewahrt Johann Hinrich 1812 davor, als Mitglied der Grande Armée mit Napoleon in den Russland-Feldzug zu ziehen: Die weitaus meisten gegen ihren Willen dienstverpflichteten Soldaten aus dem Oldenburgischen gehören den Jahrgängen 1790 bis 1793 an, wie der Blick auf eine später veröffentlichte Vermissten-Liste offenbart. Dort findet sich zum Beispiel der Name von Johann Hinrich Barkemeyer, einem entfernten Verwandten von Johann Hinrichs künftiger, aus Hurrel stammender Ehefrau Trine Margarete Barkemeyer. Dass Johann Hinrich über seinen Vater ebenfalls entfernt mit Johann Hinrich Christian Hartmann aus Delmenhorst verwandt ist, steht zu vermuten. Auch letzterer kehrt nicht aus Russland zurück.
Johann Hinrich und Trine Margarete heiraten am 8. Dezember 1812 in Hude, woraufhin Trine Margarete auf den Hartmann-Hof am Lemmelweg übersiedelt. Dort kommt im Dezember 1813 als erstes Kind Tochter Gesche zur Welt, im November 1815 – fünf Monate nach der Schlacht bei Waterloo und der anschließenden Verbannung Napoleons nach St. Helena – die zweite Tochter Gesche Margarete. Nach dem Tod von Johann Hinrichs Mutter im Dezember 1820 folgen mit Hinrich (März 1822), Sophie Catharine (Juli 1826) und Johann Diedrich (Juli 1834) drei weitere Kinder. Am Ende desselben Jahres verkauft Johann Hinrich den Altmoorhauser Hof an Johann Albert Finke aus Munderloh und nimmt mit seiner Familie den deutlich größeren Geburtshof von Ehefrau Trine Margarete in Hurrel in Besitz (heute: Michael und Sara Westphal). Am neuen Standort wird Johann Hinrich im September 1838 mit der Geburt von Tochter Anna Catharina zum sechsten und letzten Mal Vater. Vier Monate später stirbt der jüngste Sohn Johann Diedrich, ohne dass das Kirchenbuch der Gemeinde Hude eine Todesursache nennt.
Schon bald nach seiner Ankunft in Hurrel geht Johann Hinrich daran, das Recherchen von Walter Janßen-Holldiek zufolge bereits vor 1678 entstandene Hofgebäude zu modernisieren. Dieses befindet sich übrigens damals noch nicht am jetzigen Standort, sondern auf der gegenüberliegenden Seite des Brinks in unmittelbarer Nähe des 2008 für die Dorfjugend eingerichteten Bolzplatzes. Einer der dabei um 1841 neu verbauten Balken findet auch nach dem 1913 von Enkel Georg vollzogenen Umzug auf trockeneres Gelände Verwendung – er trägt die Inschrift „Johann Hinrich Hartmann und seine Frau Margarete“ und ziert ein Nebengebäude des heutigen Wohnhauses.
Auch Johann Hinrichs letzte Lebensjahre fallen in eine politisch bewegte Zeit. Wie er die Märzrevolution von 1848 und die nachfolgende Reaktions-Ära erlebt und wer außer Ehefrau Trine Margarete und dem früh als Nachfolger feststehenden Sohn Hinrich um 1850 herum auf dem Hartmann-Hof lebt, liegt heute allerdings im Dunkeln. Johann Hinrich stirbt am 1. Juni 1855 kurz vor seinem 71. Geburtstag, beerdigt ist er sechs Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.