Johann Heinrich Schmerdtmann wird am 27. April 1924 als zweites Kind von Wilhelm Schmerdtmann und Adeline Schmerdtmann auf dem elterlichen Hof in Altmoorhausen geboren. Er ist der jüngere Bruder von Erna Schmerdtmann.
Am Tag nach Johanns Geburt fällt das Volksgericht in München die letzten Urteile im Hitler-Ludendorff-Prozess. Nachdem Anfang April 1924 der Hauptangeklagte Adolf Hitler für seinen Putschversuch zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt und der beteiligte Weltkriegs-General Erich Ludendorff freigesprochen wurden, geht es dieses Mal um insgesamt 40 Mitglieder des Stoßtrupps Adolf Hitler. Die in erster Linie als Leibwächter und für den Saalschutz bei Veranstaltungen der NSDAP eingesetzten Männer hatten am Abend des 8. November 1923 die Redaktion der SPD-nahen Tageszeitung „Münchener Post“ gestürmt und mehrere Geiseln genommen, darunter den Stadtrat Erhard Auer. Am nächsten Vormittag entführten sie dann aus dem Rathaus weitere Stadträte sowie Bürgermeister Eduard Schmid und drohten bei einem Zugriff der Polizei mit deren Hinrichtung.
Auch dieses Mal fallen die Urteile äußerst milde aus. Zwei Angeklagte werden freigesprochen, die übrigen 38 wegen „Beihilfe zum Hochverrat“ zu Freiheitsstrafen von im Durchschnitt 15 Monaten verurteilt – wie im Falle von Hitler mit der Aussicht, das Gefängnis bei guter Führung schon nach einem Bruchteil der festgesetzten Zeit verlassen zu können. Einige Mitglieder des Stoßtrupps, darunter dessen Anführer Joseph Berchtold, hatten sich im November 1923 der Verhaftung durch Flucht entzogen. Sie werden trotz ihrer späteren Rückkehr nach Deutschland nie für die begangenen Taten belangt. Die übrigen verbüßen ihre Strafe auf der Festung Landsberg und bilden dort mit Hitler und weiteren Verurteilten des Putsches eine Häftlingsgemeinschaft. Anfang 1925 sind alle wieder auf freiem Fuß.
Viele ehemalige Stoßtrupp-Angehörige treten nach Aufhebung des Parteiverbots erneut in die NSDAP ein und bekleiden dort führende Positionen. Etwa Julius Schaub, der im April 1925 zu den Mitbegründern der Stoßtrupp-Nachfolge-Organisation SS (für Schutz-Staffel) gehört. Als persönlicher Mitarbeiter ist Schaub fortan ständig in Hitlers Nähe. Dessen Wiederaufstieg gestaltet sich zunächst zäh: Nach dem Ende der Hyperinflation kann sich die Weimarer Republik stabilisieren, bei den Reichstagswahlen vom 20. Mai 1928 holt die NSDAP weniger als 3 Prozent der Stimmen. Mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise werden jedoch die Karten in der deutschen Politik neu gemischt: Bei den nächsten Wahlen im September 1930 sind es schon 18 Prozent Stimmanteil und im Juli 1932 mehr als 37 Prozent. Im Januar 1933 ernennt Reichspräsident Paul von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler. Das zwei Monate später vom Reichstag verabschiedete Ermächtigungsgesetz wiederum ebnet den Weg in die NS-Diktatur.
Zu diesem Zeitpunkt besucht Johann in Altmoorhausen bereits seit knapp drei Jahren die örtliche, von Friedrich Hartmann geleitete Volksschule. Dort gehören unter anderem Heinz Barkemeyer, Harro Hartmann, Heinz Punke und Erwin Quitsch zu seinen in etwa gleichaltrigen Mitschülern. Ändert sich durch Hitlers Machtübernahme in den ersten Jahren auch relativ wenig am Unterricht, nehmen spätestens von 1936 an die nationalsozialistischen Erziehungsideale einen immer breiteren Raum ein. Das im Dezember 1936 erlassene Gesetz über die Hitlerjugend tut ein Übriges. „Die gesamte deutsche Jugend ist außer in Elternhaus und Schule in der Hitlerjugend körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen“ heißt es dort in Paragraf 2.
Der Faszination, die von der Hitlerjugend organisierte Veranstaltungen auf ihre Zielgruppe ausüben, kann sich vermutlich auch Johann nicht entziehen. Dass er trotz diverser militärischer Übungseinheiten einem künftigen Einsatz als Soldat entgegenfiebert, ist aber eher unwahrscheinlich. Denn als einziger Sohn und somit designierter Erbe des elterlichen Hofes dürfte er sich früh auf die Landwirtschaft festlegen. Mag der Schmerdtmann-Hof mit einer Fläche von rund zehn Hektar auch bei weitem nicht zu den größten Betrieben des Dorfes gehören – als Haupterwerbsquelle reicht das zur damaligen Zeit durchaus. Nach Schulabschluss und Konfirmation geht Johann deshalb in Hurrel auf dem Hof von Georg Hartmann in die Lehre und besucht nebenbei die Landwirtschaftsschule.
Noch vor dem Ende von Johanns Ausbildung beginnt Anfang September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg. Johann arbeitet danach noch kurz auf dem Hof von Karl und Marie Gode an der Linteler Straße, erhält aber im Juli 1942 einen Stellungsbefehl zur Wehrmacht. Damals kontrolliert Hitlers Armee weite Teile Europas und ist nach dem Überfall auf den einstigen Bündnispartner Sowjetunion weit Richtung Osten vorgerückt. Durch den Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 und die vier Wochen später endgültig gescheiterte Einnahme Moskaus ist aber bereits absehbar, dass der Konflikt für Deutschland nur in einer Katastrophe enden kann. Tatsächlich muss die Wehrmacht nach der Niederlage in der Schlacht von Stalingrad überall den Rückzug antreten und kapituliert Anfang Mai 1945 bedingungslos.
Johann, der den größten Teil seines Kriegsdienstes an der italienischen Front zugebracht hat, befindet sich zu diesem Zeitpunkt sehr wahrscheinlich bereits in amerikanischer Gefangenschaft. An welchem Ort er – während des Krieges durch Granatsplitter im Bein leicht verletzt – festgehalten wird, liegt heute im Dunkeln. Schon im November 1945 wird er jedoch auf freien Fuß gesetzt und kehrt nach Altmoorhausen zurück.
Die Situation, die Johann zu Hause vorfindet, ist einigermaßen schwierig. Bedingt durch seine Abwesenheit ist die Landwirtschaft nahezu vollständig zum Erliegen gekommen. Zudem haben seine Eltern wie die meisten Nachbarn Flüchtlinge aus den ehemals deutschen Ostgebieten einquartiert. Sich mit der Familie von Horst Dahlmann zu arrangieren, ist jedoch in den ersten Nachkriegsjahren noch das geringste Problem: Bis zur Währungsreform vom Juni 1948 mangelt es nahezu an allem. Und mag die Situation auf dem Lande auch nicht ganz so trostlos sein wie in vielen Großstädten, so stellt der Hungerwinter 1946/47 die Leidensfähigkeit der Menschen doch auf eine harte Probe.
Trotz aller Widrigkeiten schafft Johann es, dem Schmerdtmann-Hof wieder Leben einzuhauchen. Zuvor verpachtetes Land bearbeitet er nach und nach wieder selbst, in der Anfangszeit noch mit einem in der Nachbarschaft geliehenen Pferd. Zusammenhalt und Gemeinsinn im Dorf sind groß, und auch Johann trägt seinen Teil dazu bei – unter anderem durch seine aktive Mitgliedschaft in der Freiwilligen Feuerwehr Altmoorhausen, der er gleich nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft beigetreten ist.
Pferde, mit denen er auch im Krieg viel zu tun hatte, spielen für Johann Anfang der 1950er Jahre weiter eine wichtige Rolle. Enge Kontakte pflegt er beispielsweise zum Kirchhatter Reiterverein „Frei Tempo“. Auf einem vom Verein veranstalteten Reiterball lernt er seine künftige Ehefrau Erna Reich kennen. Die Bessarabiendeutsche ist mit ihren Eltern sowie Schwester Hertha nach Umsiedelung und Flucht 1948 in Kirchhatten gestrandet und arbeitet dort im Haushalt des Mühlenbetreibers Diedrich Braue.
Johann und Erna heiraten am 4. September 1953. Höchste Zeit, denn schon zwei Monate später kommt Sohn Hartmut zur Welt. Erna wohnt inzwischen mit auf dem Schmerdtmann-Hof und hilft trotz einer weiteren Schwangerschaft – der zweite Sohn Heiko vergrößert im Oktober 1954 die Familie – tatkräftig mit, den Betrieb zu modernisieren. Dazu gehört neben dem Umbau des bislang noch als Rauchhaus genutzten Hauptgebäudes die Aufstockung des Viehbestandes. Zu einem Schwerpunkt entwickelt sich in den folgenden Jahren die Hühnerhaltung. Die dabei produzierten Eier verkauft Johann regelmäßig in der Markthalle in Oldenburg. Im Mai 1960 wird er dann mit der Geburt von Tochter Anke zum dritten und letzten Mal Vater.
Wann genau der erste eigene Traktor – ein Hanomag R 22 – den Maschinenpark des Schmerdtmann-Hofes bereichert, ist heute in der Familie nicht mehr bekannt. Wohl aber das Datum, an dem Johann und Erna ihre erste Ausfahrt im neuangeschafften VW Käfer unternehmen. Es ist der 18. Oktober 1961, Ernas 32. Geburtstag. Ein Vorführwagen zum Preis von 4.495 D-Mark, wie eine heute noch existierende Rechnung belegt. Im Jahr darauf entgeht Johann bei den Bauarbeiten für eine neue Diele nur knapp einem Unglück: Eine nicht genügend abgestützte Mauer gibt plötzlich nach und begräbt ihn um ein Haar unter sich. Im Februar 1963 stirbt dann wenige Tage nach seinem 79. Geburtstag Vater Wilhelm. Mutter Adeline folgt fünf Jahre später, 77 Jahre alt.
Mögen zehn Hektar Land, sechs Kühe, einige Schweine und ein Stall voller Hühner in den 50er Jahren noch ausreichen, um als Vollerwerbs-Landwirt über die Runden zu kommen, so sieht dies Anfang der 70er Jahre schon anders aus. Johann pachtet deshalb noch etwas Land hinzu, auch die Zahl der gehaltenen Tiere steigt weiter. Trotzdem ist am Ende des Jahrzehnts absehbar, dass dies auf Dauer nicht reichen wird und dass auch keines der Kinder für die Nachfolge bereitsteht. In der Frage „Wachsen oder weichen“ schlägt das Pendel also in letztere Richtung.
Sonderlich traurig dürfte Johann über diese Entwicklung nicht sein. Lässt sie ihm doch neben der Arbeit Raum für andere Dinge, die ihm wichtig sind. Dazu gehört nach wie vor an vorderster Stelle die Feuerwehr, seit Ende der 70er Jahre aber auch das Kegeln. Dort ist Johann in gleich zwei Clubs aktiv – einmal zusammen mit Erna mit befreundeten Paaren aus der Nachbarschaft und einmal in einer reinen Männerrunde, zu der unter anderem Helmut Osterloh und Werner Haverkamp gehören.
Die stete Übung macht sich bezahlt. In Wettbewerben kegelt Johann meist um den Sieg mit und bringt im Laufe der Jahre so manche Trophäe nach Hause. Genauso wichtig wie der sportliche Charakter ist ihm jedoch die Geselligkeit. Johann geht gern unter Leute und ist für einen gemütlichen Klönschnack immer zu haben. Den pflegt er auch mit fünf ehemaligen Kriegskameraden aus Schleswig-Holstein und der Region Nienburg: Mit ihnen und den dazugehörigen Ehefrauen treffen sich Johann und Erna einmal im Jahr, wobei jeweils ein Paar die Gastgeber-Rolle übernimmt.
Anfang 1982 entsteht auf dem Schmerdtmann-Hof ein Altenteiler-Haus, das der älteste Sohn Hartmut und seine spätere, aus Oberhausen stammende Ehefrau Renate Lange beziehen. Ihre 1988 geborene Tochter Ramona ist für Johann und Erna, die ihren Hof nahezu zeitgleich offiziell aufgeben, das erste Enkelkind. Ihm folgen bis 1994 mit Jasmin, Miriam, Chalien und Larissa vier weitere. Jasmin und Larissa stammen aus der Ehe von Tochter Anke mit Holger Oetjen, Miriam und Chalien aus der Verbindung des zweiten Sohnes Heiko mit Heike Stöhr. Ein neuer Lebensabschnitt, den Johann sichtlich genießt: Er hat zu allen fünf Enkeltöchtern von Beginn an einen guten Draht und widmet ihnen viel Zeit. Daneben – für Männer seiner Generation durchaus nicht selbstverständlich – macht Johann sich im Haushalt nützlich und übernimmt unter anderem den wöchentlichen Lebensmittel-Einkauf. Auch der Umgang mit der Nähmaschine ist ihm keineswegs fremd.
Gesundheitlich schränkt Johann eine seit längerem bestehende Asthma-Erkrankung im Alter mehr und mehr ein, auch der regelmäßige Besuch bei einem Lungen-Facharzt in Schleswig verschafft nur bedingt Linderung. Eine Darmkrebs-Diagnose wirft ihn 2002 weiter zurück. Davon lässt er sich jedoch zunächst nicht unterkriegen und feiert mit Erna mehr oder weniger genesen im September 2003 im Gasthof von Dieter Wicht Goldene Hochzeit. Drei Jahre später kehrt der Krebs jedoch zurück, und dieses Mal gibt es keine Rettung: Johann stirbt am 27. November 2006 im Alter von 82 Jahren und wird vier Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude beerdigt.