Anna Mathilde Friederike Lampe – Rufname Mathilde – wird am 22. Mai 1876 als drittes Kind von Johann Heinrich Witte und Anna Sophie Witte auf dem elterlichen Hof in Lintel (heutige Eigentümer des mittlerweile geteilten Grundstücks: Gerhard Sedlaczek und Frank Peters) geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Elise Gesine Marie Witte und Annchen Christine Witte und die ältere Schwester von Katharine Marie Witte, Johann Heinrich Witte, Marie Sophie Witte und Georg Wilhelm Witte.
Eine Woche nach Mathildes Geburt unterzeichnet Russlands Zar Alexander II. den nach seinem damaligen Kurort Bad Ems benannten Emser Erlass. Darin stellt er den Gebrauch der ukrainischen Sprache in der Literatur, der Musik und in Theateraufführungen unter Strafe. Auch die Einfuhr entsprechender Bücher aus dem Ausland ist fortan verboten. Der Erlass ergänzt ein bereits 1863 vom damaligen russischen Innenminister Pjotr Walujew erlassenes Dekret, das Ukrainisch in Schulbüchern sowie in religiösen und wissenschaftlichen Publikationen verbietet, und ist eine Reaktion auf ein weiteres Erstarken der ukrainischen Nationalbewegung. Diese wiederum hat erst in den Jahren nach dem repressiven Walujew-Dekret nennenswert Fahrt aufgenommen.
Nach großrussischem Verständnis stellen die Ukrainer kein eigenes Volk, sondern sind als Kleinrussen zusammen mit den Weißrussen Teil einer dreieinigen Nation. „Eine eigene kleinrussische Sprache hat es nicht gegeben, gibt es nicht und kann es nicht geben. Ihr Dialekt, der vom einfachen Volk gesprochen wird, ist die russische Sprache, nur verdorben durch den Einfluss Polens“, heißt es dazu im Walujew-Dekret. Wie schon 13 Jahre zuvor zeigt der neuerliche Erlass zwar insofern Wirkung, als dass Ukrainisch in den zum russischen Zarenreich gehörenden ukrainischen Siedlungsgebieten nach 1876 mehr und mehr aus dem alltäglichen Sprachgebrauch verschwindet. Dafür entfaltet sich der ukrainische Nationalgedanke im benachbarten Österreich-Ungarn umso stärker. Im Zentrum steht dabei die bis 1772 zur Republik Polen-Litauen gehörende Stadt Lemberg, in der nach 1876 zahlreiche ukrainische Intellektuelle Zuflucht finden. Einer von ihnen, der in Chelm geborene Historiker Mychajlo Hruschewskyj, wird Anfang 1918 in Kiew die Ukrainische Volksrepublik ausrufen.
Auch unter russischen Intellektuellen findet der Emser Erlass 1876 wenig Unterstützung. Alexander II. stärkt so durch sein Vorgehen ungewollt die Opposition im eigenen Land, zu deren besonders radikalen Vertretern die russischen Nihilisten und die sozialrevolutionäre Bewegung Narodniki gehören. Beide Gruppen verüben zwischen 1879 und 1881 mehrere Anschläge auf den Zaren, von denen einer schließlich Erfolg hat: Alexander II. stirbt am 13. März 1881 in St. Petersburg durch eine ihm vom Narodnik-Aktivisten Ignati Grinewizki vor die Füße geworfene Bombe. Nachfolger Alexander III. setzt zwar in der Nationalitäten-Frage die kompromisslose Politik seines Vaters fort, lockert aber 1883 immerhin den Bann gegen Lieder und Theaterstücke in ukrainischer Sprache.
Zu diesem Zeitpunkt wohnt Mathilde schon nicht mehr in Lintel: Im Laufe des Jahres 1882 verkauft Vater Johann Heinrich Witte der Ortschronik von Walter Janßen-Holldiek zufolge seinen ihm offenbar nicht sonderlich viel Ertrag bringenden Hof an Hermann Voigt und siedelt ins Nachbardorf Altmoorhausen über. Dort arbeitet er künftig als Heuermann ohne eigenen Grundbesitz, so dass der genaue Wohnort der Familie heute im Dunkeln liegt. In Altmoorhausen wächst Mathilde mit vier Geschwistern auf – sowohl die älteste Schwester Elise Gesine Marie als auch die jüngste, im Oktober 1885 geborene Schwester Marie Sophie kommen nicht über das Säuglingsalter hinaus.
Kurz nachdem Mathilde die im Ortskern von Altmoorhausen gelegene Volksschule abgeschlossen hat, stirbt im Mai 1891 ihr nebenbei auch als Zimmermann tätiger Vater durch den Sturz von einem Wagen. Ob sie danach weiter mit ihrer Mutter und den jüngeren Geschwistern in einem Haushalt lebt, ist in der Familie nicht mehr bekannt. Dem Kirchenbuch der Gemeinde Hude lässt sich immerhin entnehmen, dass Mathildes ältere Schwester Annchen Christine noch bis 1896 in Altmoorhausen wohnt – sie stirbt am 1. Dezember jenes Jahres mit 23 Jahren an einem Herzleiden.
Wie es Mathilde weiter ergeht, darüber gibt zwei Jahre später wiederum im Kirchenbuch der Huder Pfarrer Robert Tiarks Auskunft. Für den 2. November 1898 notiert er die im Schulhaus von Altmoorhausen vollzogene Geburt eines Sohnes, der am 4. Dezember 1898 auf den Namen Heinrich Witte getauft wird. Als Mathildes Beruf notiert Tiarks Dienstmagd – wobei offenbleibt, ob sie in Diensten des Altmoorhauser Schulleiters steht oder ob es für die Geburt an genau diesem besonderen Ort andere Gründe gibt. Als Vater des Kindes bekennt sich kurz darauf vor dem Standesamt in Hude der Linteler Brinksitzer Hinrich Lampe, und einem entsprechenden Nachtrag Tiarks zufolge wendet sich damaligen Moralvorstellungen zufolge alles zum Guten: Mathilde und Hinrich heiraten am 24. März 1899 und ersparen ihrem Sohn damit den damals als Makel empfundenen Status der Unehelichkeit.
Hinrich Lampe hat 1896 am Ströhenweg eine kleine Hofstelle (heute: Hans-Hermann und Wilma Vink) begründet, zu der aber nur wenige Hektar Land gehören. Deshalb arbeitet er nebenbei auch als Schuster und Hausschlachter. Für Mathilde bedeutet das, dass ein großer Teil der regelmäßig zu erledigenden landwirtschaftlichen Tätigkeiten ihr zufällt. Die Hauptaufgabe ihres künftigen Lebens besteht freilich darin, sich um die Familie zu kümmern, die in einem anscheinend nicht enden wollenden Zwei-Jahres-Rhythmus um neue Mitglieder wächst: Zwischen März 1900 und Januar 1916 bringt Mathilde mit Hermann, Sophie (Mai 1902), Martha (Mai 1904), Georg Hinrich (März 1906), Klara (März 1908), Hermanda (März 1910), Alma (Juni 1912), Hinrich Johann (März 1914) und Lina neun weitere Kinder zur Welt. Vorzeitig Abschied nehmen muss sie in dieser im Deutschen Reich nach wie vor von hoher Kindersterblichkeit geprägten Zeit lediglich einmal: Im Oktober 1906 gelingt es nicht, den ein halbes Jahr zuvor geborenen Sohn Georg Hinrich nach einer Brechdurchfall-Infektion wieder aufzupäppeln.
Der Erste Weltkrieg, an dem Ehemann Hinrich – bei Kriegsausbruch bereits 44 Jahre alt – sehr wahrscheinlich nicht mehr teilnimmt, bringt neue Herausforderungen. Und natürlich Sorge um das Schicksal der beiden ältesten Söhne, die in der Schlussphase des Krieges um eine Einberufung zur kaiserlichen Armee kaum herumgekommen sein dürften. Einen von beiden verliert Mathilde knapp vier Jahre nach Kriegsende: Hermann Lampe, zwischenzeitlich zum Maurer ausgebildet, stirbt im Juli 1922 auf einer Baustelle an einem Stromschlag. Zum Sorgenkind entwickelt sich derweil Tochter Alma, die wegen einer angeborenen Nervenkrankheit geistig hinter anderen Kindern ihrer Altersgruppe zurückbleibt.
Die immer schwierigere, auf eine Hyperinflation zusteuernde wirtschaftliche Lage der jungen Weimarer Republik treibt mit Sophie, Martha und Klara bald darauf gleich drei von Mathildes Töchtern dazu, im Nachbarland Niederlande nach Arbeit zu suchen. Sophie lernt dabei in der Nähe von Rotterdam ihren künftigen Ehemann Arie Plomp kennen und bleibt mit ihm vor Ort. Martha bringt ihren Auserwählten gleich mit: Sie und Gerrit Vink heiraten im Juli 1927 in Hude und lassen sich anschließend in Mansholt bei Wiefelstede nieder. Klara wiederum, als einzige solo zurückgekehrt, heiratet im April 1936 den Wüstinger Eisenbahner Heinrich Schiller. Zum Zeitpunkt der letztgenannten Hochzeit hat die Weimarer Republik bereits seit mehr als drei Jahren aufgehört zu existieren – an ihre Stelle ist die Diktatur des NS-Staats getreten. Ein Staat, der Mathilde zwar das goldene Mutter-Ehrenkreuz verleiht, gleichzeitig aber durch sein Euthanasie-Programm das angeblich unwerte Leben ihrer auf Hilfe angewiesenen Tochter Alma bedroht.
Alma gelingt es zu Hause zu behalten, bei ihrem Bruder Hinrich Johann funktioniert dies nicht: Mathildes jüngster Sohn verpflichtet sich allem Anschein nach schon vor dem Anfang September 1939 erfolgten deutschen Überfall auf Polen bei der Wehrmacht, so dass er den daraus erwachsenden Zweiten Weltkrieg vom ersten Tag an mitmacht. Dessen Ende sowie den absehbaren Tod ihrer mutmaßlich an Leukämie leidenden jüngsten Tochter Lina erlebt Mathilde, mittlerweile selbst schwer erkrankt, nicht mehr mit. Sie stirbt am 5. Februar 1941 – drei Tage vor Lina – und wird fünf Tage später zusammen mit ihrer Tochter in Hude auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche beerdigt.