Friedrich Meyer zu Berstenhorst wird am 13. Juni 1878 als viertes Kind von Hermann Adolph Wilhelm Meyer zu Berstenhorst und Christina Maria Sophia Meyer zu Berstenhorst auf Gut Berstenhorst im Westerkappelner Ortsteil Lada im Tecklenburger Land geboren. Er ist der jüngere Bruder von Hermann Adolf Wilhelm Meyer zu Berstenhorst, Hermann Heinrich Wilhelm Meyer zu Berstenhorst und August Johannes Meyer zu Berstenhorst.
Am Tag von Friedrichs Geburt eröffnet der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck den Berliner Kongress. Er dient nach dem im März 1878 mit einer türkischen Niederlage beendeten Russisch-Osmanischen Krieg dazu, den im Anschluss von Russland diktierten Friedensvertrag so umzugestalten, dass auch Großbritannien und Österreich-Ungarn ihr Einverständnis geben können. Die beiden mit Russland konkurrierenden Großmächte lehnen unter anderem strikt ab, dass sich das Zarenreich durch den Vertrag einen größeren Einfluss auf dem Balkan sichert und überdies freien Zugang zum Mittelmeer erhält. Um beides zu verhindern, hatte Großbritannien Russland im Vorfeld bereits offen mit Krieg gedroht. Österreich-Ungarns Außenminister Gyula Andrássy wiederum hatte die Kongress-Idee ins Spiel gebracht, mit dem auf dem Balkan keine besonderen politischen Interessen verfolgenden Deutschen Reich als Gastgeber und neutralem Vermittler.
Die ihm zugedachte Rolle als „ehrlichem Makler“ kommt Bismarck durchaus gelegen – kann er so doch glaubhaft demonstrieren, dass das sieben Jahre zuvor gegründete und dadurch in den Kreis der europäischen Großmächte aufgestiegene Kaiserreich mit seinem aktuellen Status zufrieden ist und für niemanden eine Bedrohung darstellt. Tatsächlich gelingt es Bismarck im Verlauf der vierwöchigen Verhandlungen, die anfangs noch sehr verhärteten Fronten aufzubrechen und insbesondere das Misstrauen der Briten in seine Person zu zerstreuen. Letztere, vor Ort unter anderem durch Premierminister Benjamin Disraeli vertreten, setzen ihre Forderungen fast eins zu eins durch: Sie verhindern nicht nur eine Stärkung des russischen Einflusses in der umstrittenen Region, sondern erhalten auch die Kontrolle über die bisher türkisch dominierte Mittelmeerinsel Zypern zugesprochen. Auf der anderen Seite erhält Österreich-Ungarn das Recht, die türkischen Provinzen Bosnien und Herzegowina zu besetzen.
Weniger begeistert ist dementsprechend die von Außenminister Alexander Gortschakow angeführte russische Delegation. Gortschakow fühlt sich von Bismarck hintergangen, weil Russland am Ende nur einige strategisch eher unbedeutende Gebietsgewinne verzeichnen kann – mag dies angesichts der Ausgangslage mit einem drohenden Krieg gegen Großbritannien vor Augen auch das beste am Verhandlungstisch erzielbare Ergebnis sein. Als Verlierer stehen neben Russland und dem insgesamt glimpflicher als erwartet davongekommenen Osmanischen Reich auch die meisten der nach nationaler Unabhängigkeit strebenden Völker der Balkan-Halbinsel da: Über ihre Zukunft ist ohne jede eigene Mitwirkung entschieden worden. Völlig unbeachtet bleiben beispielsweise territoriale Streitfragen zwischen Serbien und Bulgarien, zudem sorgt der Widerstand der mehrheitlich muslimischen und christlich-orthodoxen Bevölkerung Bosniens und Herzegowinas gegen die römisch-katholisch geprägte Habsburger-Monarchie beständig für Unruhe.
Inwieweit die Ergebnisse des Berliner Kongresses 1878 im Tecklenburger Land registriert und kommentiert werden, lässt sich heute nur vermuten. Auch über die genauen Lebensumstände von Friedrichs Familie zu dieser Zeit ist nur noch wenig bekannt. Sie lebt auf einem alten Gutshof, der im Spätmittelalter zum Haus Kappeln gehörte und den Friedrichs Vater in dritter Generation als Pächter bewirtschaftet. Nach Schulabschluss und Konfirmation lernt Friedrich Landwirt und übernimmt zunächst den Hof. Derweil zieht es gleich zwei seiner Brüder nach Ostdeutschland: Hermann Heinrich Wilhelm Meyer zu Berstenhorst lässt sich 1898 in der damaligen Provinz Posen nieder, August Johannes Meyer zu Berstenhorst folgt ihm mit Ehefrau Christine Catharine Wilhelmine im Juli 1901. Mutter Christina Maria Sophia scheint fortan im Haushalt ihres zweitältesten Sohnes zu leben, sie stirbt 1912 in Hohenau im Kreis Gnesen. Über den Verbleib des Vaters und des ältesten Bruders ist nichts bekannt.
Im Mai 1906 heiratet Friedrich Anna Kreiling aus Hastrup bei Bersenbrück. Aus der Ehe gehen mit Christine (Oktober 1906), Marie (Juni 1908), Frieda (September 1909) und Anneliese (Juli 1911) vier Kinder hervor, ehe Friedrich mit seiner Familie Gut Berstenhorst verlässt und im Westerkappelner Ortsteil Hambüren einen anderen Hof pachtet. Dort erlebt er im Sommer 1914 den Beginn des Ersten Weltkriegs, dessen Auslöser – die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Ehefrau Sophie in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo – letztlich eine Folge der 1878 auf dem Berliner Kongress unbeachtet gebliebenen Probleme ist.
Weiß oder ahnt Friedrich im August 1914 bereits, dass er ein fünftes Mal Vater wird? Meldet er sich freiwillig zur Armee, steht er bei der Geburt seines Sohnes Fritz im Februar 1915 bereits irgendwo im Osten oder im Westen an der Front? Fragen, auf die es mehr als 100 Jahre später keine gesicherte Antwort mehr gibt. Überliefert sind allerdings drei Einträge in den amtlichen Verlustlisten. Der erste datiert vom Mai 1917 und bescheinigt Friedrich, Opfer eines nicht näher bezeichneten Unfalls geworden zu sein. Ist das jene Kriegsverletzung, die Friedrich späteren Aufzeichnungen seines Enkels Dieter Vogt zufolge auf einem Auge hat erblinden lassen? Im Herbst 1917 gerät er in Gefangenschaft, kommt aber allem Anschein nach schnell wieder frei und wird im folgenden Jahr erneut leicht verletzt.
Nach Kriegsende kehrt Friedrich nach Hambüren zurück und wird 1919 ein weiteres Mal Vater. Dieses sechste Kind stirbt aber sehr wahrscheinlich bereits im Säuglingsalter und taucht in späteren Quellen oder Erzählungen nicht mehr auf. Anfang November 1919 – über die näheren Hintergründe ist heute nichts mehr bekannt – verlässt Friedrich dann seine westfälische Heimat Richtung Oldenburg. Er lässt sich in Huntlosen nieder, wo die Familie abermals einen von der Lage nicht mehr bekannten Hof pachtet und bis mindestens 1932 bleibt. Darauf deutet zumindest die im Mai 1932 und somit auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise und kurz vor dem Untergang der Weimarer Republik vollzogene Trauung der zweitältesten Tochter mit Gerhard Lottmann aus Osternburg hin: Der dazugehörige Heiratseintrag im Osternburger Kirchenbuch bezeichnet Frieda Meyer zu Berstenhorst als „Haustochter“ aus Huntlosen.
Irgendwann in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre – in Berlin regieren inzwischen die Nationalsozialisten unter Adolf Hitler – zieht Friedrich mit Ehefrau Anna und den beiden noch im elterlichen Haushalt lebenden Töchtern Christine und Anneliese von Huntlosen ins knapp zwölf Kilometer weiter nördlich gelegene Altmoorhausen. Dort pachtet er mit dem Spinning-Hof am Piepersweg die 1657 erstmals urkundlich erwähnte Keimzelle des Dorfes (Eigentümer bis 2023: Mathias Schmale) und erlebt am 1. September 1939 zum zweiten Mal in seinem Leben den Ausbruch eines großen, sich rasch zum Weltenbrand entwickelnden Krieges. Anders als 1914 jedoch ist die Schuldfrage von Beginn an klar, mag der Aggressor Hitler („Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen“) die Rolle des Brandstifters zunächst auch noch so vehement dem von Deutschland überfallenen Nachbarn Polen in die Schuhe zu schieben versuchen.
Im Dezember 1940 heiratet Tochter Anneliese Emil Vogt aus Hude. Friedrichs Schwiegersohn verlagert seinen Lebensmittelpunkt ebenfalls nach Altmoorhausen, ist aber als für die Organisation Todt dienstverpflichteter Tiefbau-Ingenieur nur äußerst selten vor Ort. Im November 1941 wird dann Annelieses und Emils Sohn Dieter geboren. Dieser beschreibt später die in jenen Jahren auf dem Pachthof herrschenden Verhältnisse wie folgt: „Über den Hof floss eine Bäke, die hier einen kleinen Teich bildete, in dem man mit etwas Glück damals in den 40er Jahren noch Fische fangen konnte. Das strohgedeckte Dach des Hauses war weit heruntergezogen, so dass sich ein Erwachsener bücken musste, um durch die Seitentür ins Innere des Hauses zu gelangen. Die Zimmer waren klein und, bis auf Küche und Stube, nicht beheizbar. Im Winter bildeten sich an den Fenstern Eisblumen, und an den Lehmwänden glitzerte die Kälte. Die große Diele war uneben mit Lehm gepflastert und wurde rechts und links durch die Stallungen für das Großvieh begrenzt. Für die Schweine gab es einen Extra-Stall außerhalb des Hauses, und zwei Scheunen standen zur Aufnahme der Ernte bereit. Es gab keinen brauchbaren Brunnen, so dass das Trinkwasser täglich zu Fuß vom Nachbarn geholt werden musste, der etwa 400 Meter entfernt wohnte.“
Weiter heißt es in den Kindheitserinnerungen von Friedrichs Enkel: „Das Toiletten-Häuschen befand sich neben dem Hühnerstall außerhalb des Wohnhauses unter einer großen Linde, etwa 50 Schritte entfernt. Im kalten Winter oder bei Dunkelheit überlegte man sich sehr wohl, ob man noch musste oder nicht. In aller Regel stand für solche Situationen ein Nachttopf bereit. Das war damals auf dem Lande normal. Niemand besaß eine Wasserleitung oder eine Heizung. Die Hühner liefen auf dem Hof frei umher und suchten ihren Stall nur zum Eierlegen oder Schlafen auf. Abends wurde der Zugang zum Stall, das Hühnerloch, verschlossen, damit nicht nachts ein Marder, Iltis oder Fuchs eindringen konnte, um den Hühnern den Garaus zu machen. Die Kühe, 13 an der Zahl, hatten alle einen Namen, auf den sie auch hörten, meistens jedenfalls. Von den Pferden ist mir nur ‚Schimmel‘ (nomen est omen) in Erinnerung geblieben. Er war ein riesenhaftes Pferd aus der schweren Holsteiner Zucht mit enormen Kräften und einem geradezu spitzbübischen, aber dennoch treuen Verhalten. Er fand von Oldenburg alleine den Weg zu unserem Hof zurück. Einmal brach er tatsächlich ohne Kutscher mit dem Wagen auf. Opa trat aus der Haustür auf die Straße, schaute verblüfft, der Wagen samt Schimmel war weg. Da er ahnte, was passiert war, lieh er sich ein Fahrrad und holte Schimmel nach einer mehrere Kilometer langen Verfolgungsjagd wieder ein.“
Als weitere Mitbewohner auf dem Hof kommen ab 1942 der 13-jährige Polenjunge Stanislaus und ab 1944 Friedrichs Enkel Willy Brüggemann aus Osnabrück hinzu. Im Frühjahr 1945 findet dann auch Willys nach einem nächtlichen Fliegerangriff ausgebombte Mutter – Friedrichs Tochter Marie – mit ihrem zweiten Sohn Wolfgang in Altmoorhausen Unterschlupf. Wie Friedrich mit seiner Familie die letzten Kriegswochen bis zur ersehnten Kapitulation erlebt, hat Dieter Vogt in seinem 1991 erschienenen Buch „Von Altmoorhausen bis Ofen“ sowie 2020 in einem Artikel für die Nordwest-Zeitung zu Papier gebracht.
Mögen die meisten Hofbewohner dabei auch zumindest für einen Moment lang Todesängste ausstehen – am Ende bleibt es bei dem Schrecken, den einige kanadische Soldaten ihnen auf der Suche nach einem vermeintlich vergifteten Kameraden einjagen. Neben Friedrichs Sohn Fritz überleben auch die Schwiegersöhne Gerhard Lottmann und Wilhelm Brüggemann den Krieg. Keinerlei Lebenszeichen gibt es hingegen von Emil Vogt, dem in der Nähe von Danzig verschollenen Ehemann von Tochter Anneliese. Die Hoffnung auf eine spätere Rückkehr erfüllt sich nicht, so dass in den folgenden, von zahlreichen Entbehrungen geprägten Nachkriegsjahren neben Friedrich nur noch vier weitere Familienmitglieder in Altmoorhausen leben: Ehefrau Anna, Anneliese mit Dieter sowie Annelieses unverheiratete Schwester Christine.
Im Februar 1950 stirbt Anna Meyer zu Berstenhorst. Eine Zäsur, die die weitere Zukunft der Familie auf dem Spinning-Hof in Frage stellt. Friedrich ist mittlerweile 71 Jahre alt und kommt deshalb mit seinen beiden Töchtern überein, ein kleines, von Annelieses im Holzhandel tätigen Schwager Alfred Vogt vermitteltes Haus in der am westlichen Stadtrand von Oldenburg gelegenen Bauerschaft Ofen zu kaufen. Eine Entscheidung, die Friedrich alles andere als leichtfällt, wie Dieter Vogt später anlässlich der für den 28. Oktober 1950 angesetzten Auktion des „lebenden und toten Inventars“ schreibt: „Bei der Versteigerung floss manche Träne. Für mich war es ein atemberaubendes Erlebnis zu sehen, wie der Auktionator auf den Gegenständen herumturnte und dabei die Sachen anpries wie ein Marktschreier und wie dann die Käufer mit der ‚Beute‘ abzogen. Das meiste Geld brachte der Kutschwagen mit dem dazugehörenden Geschirr mit echtem Silberbeschlag. Den Preis weiß ich nicht mehr. Aber ich weiß noch, dass mein Opa weinte, denn dieses Gefährt stammte auch noch von der Berstenhorst.“
Mit den verbliebenen Sachen und Lebewesen (zwei Kühe, drei Schweine, Katze Mausi, Hund Polly, viele Hühner und ein Hahn) nehmen Friedrich, seine beiden Töchter und Enkel Dieter Anfang November 1950 das neue, stark renovierungsbedürftige Domizil in Besitz. Mit vereinten Kräften und unter Hinzuziehung diverser ortsansässiger Handwerker führt die Familie in den folgenden Jahren die dringendsten Reparaturarbeiten durch und betreibt auf den zum Grundbesitz gehörenden anderthalb Hektar Land nebenbei weiter ein wenig Landwirtschaft – eine Tätigkeit, in die Friedrich ganz selbstverständlich bis ins hohe Alter eingebunden ist. Die eine oder andere Begebenheit aus jener Zeit hat Dieter Vogt ebenfalls in seinen Erinnerungen festgehalten und würdigt den Großvater darin etwas amüsiert, aber durchaus respektvoll als „Unikum, wie es im Buche steht“.
Friedrich stirbt am 29. Dezember 1971, nachdem er wenige Wochen zuvor einen leichten Schlaganfall erlitten hat. Beerdigt ist er fünf Tage später auf dem Friedhof der Auferstehungskirche in Oldenburg.